ein Beitrag vom Joseph Joachim Violinwettbewerb 2024
„Die Probe hat Leben in mich gebracht!“ Alexandra Weissbecker kommt mit einem Lächeln aus dem Richard Jakoby Saal, wo sie noch vor wenigen Minuten mit dem Münchener Kammerorchester geprobt hat. Mit sieben weiteren Teilnehmenden des Joseph Joachim Violinwettbewerbs hat sie erst ein paar Stunden zuvor erfahren, dass sie das Halbfinale erreicht hat. Zur Vorbereitung dürfen alle Semifinalistinnen und -finalisten 45 Minuten lang mit dem Orchester proben. Wenig Zeit, denn manche von ihnen haben noch nie mit einem Orchester gespielt. „Es ist wirklich toll“, berichtet die junge Geigerin, „das sind alles ganz wunderbare Musiker, mit denen ich spielen darf.“
Alexandra nimmt nicht zum ersten Mal den Platz einer Konzertmeisterin ein. Bereits zu Schulzeiten hat sie die erste Geige im Orchester ihres Gymnasiums gespielt. „Dadurch bin ich weniger nervös. Jedoch ist es sehr anstrengend, weil es keinen Dirigenten gibt und ich alle Menschen, die hinter mir sind, zusammenbringen muss.“ Von dieser Anstrengung lässt sich die Musikerin während ihrer Probe allerdings nichts anmerken. Im Gegenteil: Sobald sie zu spielen beginnt, wirkt die Geigerin wie befreit. Aus der Beobachterperspektive scheint es, als wäre es ein Leichtes für sie, das Orchester anzuleiten. Sie fügt sich in die Gruppe der Profikünstlerinnen und -künstler ein, wird Teil des Klangorganismus, aber steht zugleich für sich. „Ich habe immer im Hinterkopf, dass ich alle im Griff haben muss, aber vielleicht kann ich es auch mal laufen lassen“, lacht sie.
Geübt hat die die Geigerin „ganz allein mit der Vorstellung vom Orchester“. Alle Semifinalistinnen und -finalisten, die am Beginn ihrer Karriere stehen, müssen in den Halbfinals ein Violinkonzert von Mozart und das Divertimento von Bartók mit dem Orchester spielen. „Mozart habe ich schon für andere Wettbewerbe vorbereitet, aber Bartók habe ich extra für diesen Wettbewerb gelernt. Im Orchester habe ich beide Stücke noch nicht gespielt. Das war in der Probe eine Premiere.“
„Viele der Teilnehmer sagen, sie spielen das erste Mal im Orchester und für den Kollegen, der hinter mir sitzt, ist es das letzte Projekt“, erzählt der Cellist Mikayel Hakhnazaryan. Er selbst wird als Teil des Münchener Kammerorchesters und des Kuss Quartetts auf der Bühne stehen. In der zweiten Runde müssen sich die Wettbewerbsteilnehmenden nämlich als Kammermusiker in einem Streichquartett beweisen – sie dürfen die Position der ersten Violine einnehmen. „Da beschäftigen sie sich plötzlich ganz allein mit einem Werk, müssen verstehen, was das für eine Musik ist und sie ganz schnell lernen“, erklärt Jana Kuss, Geigerin des Berliner Quartetts. Für viele Solistinnen und Solisten sei es sehr schwierig, sich musikalisch auf andere Personen einzulassen, weil sie dafür ihre „Probenkiste“ verlassen und sich öffnen müssen. Mit „offenen Ohren und einem Blick von der eigenen Stimme zu den anderen“ funktioniere das gemeinsame Musizieren am besten. Außerdem, sagt Kuss, ist die Körpersprache der Musikerinnen und Musiker sehr wichtig. Aber das sei sehr individuell und etwas, das man „einfach haben muss“.
Die Körpersprache, die Kuss thematisiert, drückt Alexandra Weissbecker auch gestisch aus. „Ich zeige mit dem Geigenbogen auf, mit der rechten Hand und atme deutlich ein.“ Auf diese Weise gibt sie den anderen Musikerinnen und Musikern Signale, die es ermöglichen, dass „alle Mitmenschen meine Spielart nachvollziehen und mitspielen können“, erklärt die junge Violinistin. Das Zusammenspiel bei Bartók findet nicht nur mit dem gesamten Orchester statt, sondern auch im „Gespräch“ mit dem Solocellisten. „Wir müssen unglaublich offen dafür sein, so schnell wie möglich musikalisch auf die Teilnehmer zu reagieren“, sagt Mikayel Hakhnazaryan begeistert. „Die acht Geigerinnen und Geiger kommunizieren auf so unterschiedliche Art und Weise, dass wir am Ende acht verschiedene Bartók hören werden. Es macht Riesenspaß.“ Die Gefühle, die Alexandra mit dem Münchener Kammerorchester und wenige Tage später mit dem Kuss Quartett von der Bühne ins Publikum transportieren möchte, hängen vom Stück ab. Man könne lernen, unterschiedliche Gefühle künstlerisch hervorzuheben. Je nach Vorgabe des Werks und abhängig von der Situation gebe es immer wieder Momente, in denen man sie etwas forcieren muss. Ob sie aber solo oder zusammen mit anderen Musizierenden spielt, ist für Alexandra nicht von Bedeutung. „Für mich gibt es da keinen Unterschied. Die Gefühle kommen von ganz allein.“