„Ich möchte in eine Welt mitgenommen werden, berührt werden, emotional verstehen, was die Musikerinnen und Musiker wollen“, sagt Antje Weithaas, die gemeinsam mit Oliver Wille die künstlerische Leitung des Joseph Joachim Violinwettbewerbs innehat. Sauber und rhythmisch zu spielen, sei nur eine Grundvoraussetzung, doch am Ende solle das für die Entscheidung der Jury gar keine Rolle spielen. „Man soll es sogar vergessen“, so Wille. „Es geht darum, welche musikalische Lesart die jungen Geigerinnen und Geiger haben.“ Das Repertoire ist beim Joseph Joachim Violinwettbewerb deshalb so anspruchsvoll und vielfältig, weil man beobachten will, wie die jungen Künstlerinnen und Künstler es meistern, sich in die Herzen der Menschen und die dann hoffentlich vollen Konzertsäle zu spielen. „Musik ist die einzige Kunst, die keine Sprache braucht“, betont Weithaas, denn jeder Mensch kann sie verstehen und individuell wahrnehmen.
Individualität spiegelt sich auch in der Auswahl der Jurymitglieder wider. Neben weltbekannten Geigerinnen und Geigern bewerten eine Sängerin und eine Bratschistin sowie ein Pianist und ein Dirigent das musikalische Talent der Teilnehmenden. Alle haben Vorlieben für bestimmte Typen von Musik, andere Sichtweisen. „Wir erhoffen uns davon eine sehr praxisbezogene Bewertung“, erklärt Weithaas. „Nicht, wer am besten und am lautesten spielt, sondern wer berührt.“
Die Geigerin Liza Ferschtman stimmt dieser Haltung zu. „Es ist uninteressant für uns in der Jury, ob jemand etwas Falsches spielt. Wir suchen alle nach der Persönlichkeit.“ Kurz vor der Bekanntgabe, wer es in die Semifinals geschafft hat, erläutert die Geigerin im Wettbewerbsfoyer, worauf sie persönlich Wert legt: ein Komplettpaket. „Ich möchte etwas Neues, Stimulierendes erleben“, sagt sie. Da vor allem Werke aus vergangenen Epochen gespielt werden, müssen diese von jeder und jedem neu interpretiert werden. Hierbei sei es wichtig, nicht den nötigen Respekt vor den Stücken zu verlieren, ihnen aber zugleich etwas Persönliches zu verleihen. „Es ist dieses feine, liebevolle Verhältnis zur Musik, auf das es ankommt“, erklärt Ferschtman. Und genau darin liege auch die Schwierigkeit verborgen. „Es ist nicht leicht, sich in allen Stilen wohlzufühlen und gut ausdrücken zu können. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass man das üben kann und dass auch introvertierte Menschen, wenn sie häufiger auf der Bühne stehen, lernen können, wie sie das, was in ihrem Inneren passiert, bis zum letzten Platz im Saal transportieren können.“
Neben dem Ausdruck der Geigerinnen und Geiger achtet Liza Ferschtman im Wettbewerb vor allem auf das Stilbewusstsein der Teilnehmenden und auf ihre Zerbrechlichkeit. „Man braucht auch etwas Kräftiges auf der Bühne, aber man darf gleichzeitig keine Angst haben, sich zerbrechlich zu zeigen. Es ist keine Schwäche, sondern eine Stärke, auf der Bühne damit umzugehen.“ Eine solche Stärke, ergänzt die Jurorin, muss allerdings von allein kommen. „Die Persönlichkeit, die darin steckt, die hat man oder man hat sie nicht.“