„Ich brauche die Stille.“

Jenny Schmidt, 24 Jahre

Als die Violinistin Chiara Sannicandro an diesem Sonntagnachmittag zur ersten Probe mit der Camerata Bern in den Saal kommt, herrscht eine lockere Atmosphäre. Die Musiker lachen mit einander und Chiara, als nunmehr vierten Solistin, mit der das Ensemble an diesem Tag ihren Auftritt im Semifinale probt, bespricht mit ihnen kurz die einzelnen Besonderheiten der Stücke. Dann geht die Probe auch schon los, denn die Zeit ist knapp bemessen. Dafür, dass die Geigerin und das Orchester zum ersten Mal zusammen je ein Werk von Bartók und eines von Mozart spielen, wirkt alles schon sehr sicher und im Einklang. Hier und da machen sich die Musiker Notizen und treffen kurze Absprachen. Und nach 50 Minuten ist die Probe auch schon wieder vorbei. Mit einem lieben „Danke“ verabschieden sich Solistin und Camerata voneinander.

Chiara Sannicandro wirkt nach diesem ersten Zusammentreffen sehr zufrieden. „Es macht voll Spaß und es war sehr schön! Die Camerata ist so eine super Gruppe“, schwärmt die Violinistin. Zwischen ihrem letzten Zusammenspiel mit einem Orchester und der Probe heute, ist schon etwas Zeit vergangen. Trotzdem sieht sie dem gemeinsamen Auftritt in der ersten Semifinalrunde positiv entgegen. „Es kommen auch viele Impulse von der Camerata. Ich werde mir ihre Vorschläge auf jeden Fall nochmal anschauen, aber der Auftritt wird schon werden“, sagt die 23-jährige zuversichtlich. Dabei ist es gar nicht so leicht, sich in ein Orchester einzufügen. Man muss sich schon erstmal in eine bestehende Gruppe einfinden, erklärt die Violinistin. Als einzig neue Person ist das schon eine Herausforderung. Chiara erlebt es auf jeden Fall positiv: „Es ist natürlich schön, wenn man sich ein bisschen an die Gruppe anpasst, aber die Musiker im Orchester sind alle so gut, die passen sich auch an mich an.“ Doch ganz so locker ist die Situation dann auch für sie nicht: „An sich ist man immer angespannt bei Wettbewerben. Aber trotz des Stresses sind alle unglaublich lieb.“ Chiara ist sehr froh darüber, denn das bedeutet keine zusätzliche Anspannung durch Unfreundlichkeit oder Konkurrenzkampf.

Im Gegenteil, mit zwei anderen Teilnehmern des Wettbewerbs geht sie auch gern mal einen Kaffee trinken oder Essen. Allerdings erklärt sie auch, dass sie noch nicht so viele Teilnehmer kennen lernen konnte, da die Hotels und Gastfamilien teils weit voneinander entfernt sind. So ist es schwieriger, nach den Konzerten oder Proben noch etwas zusammen zu unternehmen. Allerdings haben die Violinistin, sowie auch die anderen Teilnehmer nicht so viel Zeit dafür.

Wenn Chiara nach den Proben und Auftritten doch etwas Freizeit hat, verzichtet sie momentan auch gern auf Musik: „Man übt so viel und hat ständig irgendeinen Ohrwurm, deshalb höre ich auch oft gar nichts. Ich brauche die Stille.“ Falls doch mal ein paar Lieder laufen, hört sich die Geigerin gern quer durch die Genres. Darunter auch Jazz und Klassik. Allerdings verzichtet sie dabei auf Geigenmusik. Die Favoriten sind dann eher Klavier- oder Kammermusikstücke.

Die Jazz- und Klaviereinflüsse kommen auch über ihre Familie. Als Tochter von zwei Pianisten hat Chiara schon früh einen Berührungspunkt mit der Musik gehabt. Wie sie auf die Idee kam, Geige zu spielen, weiß sie selbst nicht mehr genau. „Ich habe anscheinend meinen Eltern gesagt, dass ich eine blaue Geige haben will. Warum genau, weiß ich nicht. Ich wollte es einfach.“ Und so bekam sie erst eine Leihgeige und danach ihre erste eigene halbe Geige aus Tschechien. Nur leider nicht in Blau. Sie ist froh über ihre musikalische Früherziehung: „Ich finde, man sollte jeden schon früh mit Musik in Kontakt bringen und die Kinder experimentieren lassen. Man sollte ihnen den Zugang zur Musik ermöglichen und schauen, was ihnen vielleicht Spaß macht.“ Chiara möchte das jedenfalls in ihrem Leben nicht missen. „Ich hoffe, dass die klassische Musik auch für jüngere Leute zugänglicher wird.“

Von dem Wunsch nach einer blauen Geige bis auf die Bühne des Joseph Joachim Violinwettbewerbs sind einige Jahre vergangen, doch nun steht sie für ihr Konzert in der ersten Semifinalrunde im Scheinwerferlicht. Sie ist dem Orchester während des Auftrittes sehr zugewandt und wirkt positiv. Mit Feingefühl, aber auch bestimmt, fügt sie sich gut in die Camerata Bern ein. Erst meistert sie Mozart, dann Bartók. Der Komponist Béla Bartók wird sie auch in der zweiten Semifinalrunde begleiten, dem Rezital. Warum Chiara Sannicandro ein Stück des Ungarn gewählt hat, begründet sie so: „Das Rezital soll unter dem Thema Heimat stehen. Bartók verwendet unglaublich viel Volksmusik und ich habe mal gelesen, dass die zweite Rhapsodie, die ich spielen werde, eine Ode an seine Heimat ist. Und das fand ich passend.“ In der Hoffnung, dass die Jury am Donnerstagabend auch alles als passend erachtet, geht Chiara in die Entscheidung für das Finale. Die Daumen sind gedrückt.