Lebensreise

Berta Weidental, 29 Jahre

In dem Konzert „changing moments in life“, gespielt von den Curious Chamber Players, durchlebt man ein ganzes Leben. Eine Welt in Fragmenten. Das Gesamtwerk besteht aus sechs sehr klangnarrativen Teilen, die durch ständige Transformation ineinander überzugehen scheinen.

Das Anfangsstück „Leaves in Marble“ von der Komponistin Elena Rykova ist geprägt durch die Suche nach der bestmöglichen Version des eigenen Ichs. Die Performerin, die langsam, mit einer Muschel am Ohr und einem Megaphon in der Hand, auf und über die Bühne schreitet, scheint sich zwischen Natur und Technik eingerichtet zu haben. Es entsteht der Eindruck, als ob der natürliche Widerklang der Muschel über die Performerin in das Megaphon strömt und so dem Publikum entgegen rauscht. Es wird die Mitte gesucht zwischen natürlichem Rauschen und synthetisch hergestellten Klängen. Der Ruf nach Selbstfindung wird laut und hallt aus verschiedenen Richtungen auf das Publikum ein. Nach der ruhigen sehnsüchtigen Suche wird die Bühne umgeräumt, die Konstellationen und Anordnungen wandeln sich und die nächsten Fragmente beginnen. Es folgen die Stücke verschiedener Komponisten und Komponistinnen: „Silenced tumult“ von  Wie-Chien Lin, „The Hollow oft he Heart“ von Timpthy McCormack, „Puchan“ von Rei Munakata, „The Cloud Factory“ von Hanna Hartman und „Jasmonate“ von Malin Bang.

Eine Lebensreise beginnt. Wie vom Alltag eingeholt entsteht ein harmonisches Chaos an Einzelklängen und Alltagsgeräuschen, das mitreißt und in Höhen und Tiefen den Verlauf eines Lebens in all seinen Facetten beschreibt. Dabei entsteht eine Geräuschkulisse, die klassische  Saiten- und Blasinstrumente wie Geige, Cello, Gitarre, Flöte, Kontrabassquerflöte, Saxophon und Horn  mit den Geräuschen alltäglicher Gegenstände wie beispielsweise einer Glühbirne, einer Obstschale, Metallketten, Murmeln, Linsen, Papier und fließend geflüsterten Stimmen vermischt und kombiniert. Dabei werden nicht nur Töne und Instrumentengruppen ergänzt und ausgetauscht, sondern auch aufgegriffen und im nächsten Fragment weitergeführt.

Immer von einem Wechsel von Bühnenbild, Instrumenten und Alltagsgegenständen gekennzeichnet, ändert sich die Stimmung der einzelnen Fragmente, welche in Wellen von ruhig, melancholisch und behutsam zu wütend, bedrängend bis hin zu entsetzlich, bedrohlich variiert. Sanftes Rauschen verwandelt sich in wildes Zischen, starkes Rascheln und dazwischen kreischend, ratschende Töne. Puste- und Pfeifgeräusche in allen Variationen, von kräftig zu leicht gehaucht und von schrill quietschig zu windartig. Dann geheimnisvolles Gemurmel und eingesaugter Atem. Störgeräusche, Hecheln, Prasseln und Ratschen. Ein wahres Geräuschfeuerwerk, das sich immer wieder steigert, explodiert und dann vergeht. Am Ende steht eine Sanduhr, begleitet von einem großen bedrohlichen Gewitter, das sich steigert, wieder abschwächt und verklingt. Die Zeit verrinnt erst, wenn das  letzte Fragment gewitternd beginnt und ebenso endet. Es gibt kein sanftes Ausklingen der Zeit und der Musik. Nur ein sanftes Einleiten und danach einen permanent auf und abschwellenden Sturm von Emotionen und Klängen in den nachfolgenden Fragmenten. Es entstehen narrative Stücke in einem scheinbar unfertigen fragmentierten Rahmen, der dramaturgisch wirkungsvoll und stark beginnt, sich in Unruhe steigert und verwirrend mitten im Sturm endet, indem die Zeit weiterläuft.

Ein Gesamtwerk mit viel Symbolik, starken Bildern, gleitenden Transformationen und mitreißender Emotionalität, das zwar in sich abgerundete narrative Fragmente zeigt, die musikalisch ineinander überlaufen, es aber nicht ganz schafft, einen gesamtdramaturgischen Bogen durch die Stücke zu ziehen.