Musikalische Einhörner made in Salzburg

Lena Nieper, 28 Jahre

Mit Salzburg assoziiert man die Opernfestspiele und das Mozarteum – aber nicht einen kreativen Hub für technologische Innovationen in der Musik- und Kulturbranche. Das Karajan Institut möchte Salzburg als Kreativstandort über die Klassik hinaus attraktiv machen. Ihr stärkstes Argument hierfür ist der Star-Dirigent Herbert von Karajan selber. Mit seinen CD-Aufnahmen und TV-Auftritte war er der Klassik-Influencer vor der Zeit der sozialen Medien. Das Karajan Institut knüpft mit der Karajan Music Tech Conference daran an – in diesem Jahr zum ersten Mal online. Welche Möglichkeit bietet die Digitalisierung dem Kulturbetrieb? Für Antworten begebe ich mich in einen 10h Zoom Marathon, um inspirierenden Start-ups, Label Chefs und CEOs von Kulturinstitutionen zuzuhören, wie die gerade zunehmend digital aktiver werdende Kulturszene und Musikbranche sich transformiert und welche innovativen Lösungen aus der Szene entstehen. Einhörner made in Salzburg.  

Institutionen mit Archiven sind im Vorteil

Bereits seit 11 Jahren streamt die Berliner Philharmonie. Auf dem halbstündigen Panel „Cultural Institutions, Ecology and Urbanism: Where Are We Headed?“ sagt ihr Direktor Olaf Maninger, dass er die aktuelle Krise als einmalige Gelegenheit begreift die Digitalisierung voran zu treiben. Zu dem Zeitpunkt als die Berliner Philharmonie ihre physischen Tore schließen musste, öffnete sie ihren digitalen Raum: Die Digital Concert Hall. Maninger schlägt auch nachdenkliche Töne an. Vielleicht werde man in Zukunft Konzertreisen nachhaltiger gestalten müssen, indem man länger an einem Ort bleibt, um einen stärkeren Eindruck bei den Zuhörern zu hinterlassen. Der in Berlin ansässige Bas Grasmeyer beurteilt diese Entwicklung als sehr naheliegende für alle Institutionen, deren Kerngeschäft Aufführungen sind. Der Live Stream ist für ihn die konsequente Weiterentwicklung der Aufführungen im digitalen Raum. Der ehemalige Head of Product bei dem Klassik Streaming Dienst Idagio sieht das Potential dieser Formate jedoch in mehr interaktiven Formaten. Wie diese konkret aussehen, führt er leider nicht weiter aus. 

Ganz konkrete Digitalisierungslösungen präsentiert Christopher Wiedauer, ganz leger von seinem blauen Sofa aus. Die Wiener Staatsoper, deren Digital Stratege Wiedauer ist, produziert ihre Aufführungen selber, hat die Digitalisierung von Partituren angestoßen und ihre Kundenbindung gestärkt, durch personalisierte Ipads an jedem Sitz. Seit sieben Jahren verfolgt die österreichische Prestige Institution eine Digitalstrategie, die sich jetzt auszahlt. 90% der geplanten Aufführungen können derzeit wie gewohnt stattfinden – nur eben online. Das Beste sei, dass die Wiener Staatsoper jeden Abend eine unterschiedliche Besetzung online veröffentlichen könne. Eine Fundgrube für Opernforscher, die sich für Aufführungsanalysen interessieren. Es kristallisiert sich heraus, dass der wahre Schatz großer Institutionen ihre historischen Aufführungen sind, die durch die Digitalisierung nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Doch was regt sich im Schatten der großen Institutionen?

Start-ups als Innovationstreiber der Kulturbranche 

Das Besondere der Konferenz ist, dass Matthias Röder, CEO des Karajan Institut, es schafft, innovativen Lösungen, wie zum Beispiel dem Music Tech Startup „Tag Mix“ aus London, Raum zu geben. Der Gründer Andy Woodford überzeugt mit seiner Lösung zur Verbesserung der Audio-Qualität von Live-Musik- und Videoaufnahmen von Musikevents. Tag Mix ist eine Musikerkennungssoftware wie Shazam, die man während des Clubbings und Konzerten einsetzen kann. Das Konzept ist ganz einfach. Die Audio Datei wird analysiert, durch patentierte Technologie erkannt und mit verbesserter Qualität als Stream hinter das Bild gelegt. So kann man das eigene Live-Erlebnis gleich auf den sozialen Media teilen – ohne Abstriche der Klangqualität. Schlechte Live Aufnahmen gehören mit Tag Mix der Vergangenheit an.

Während Tag Mix die Sound- und Bildqualität verbessert, ermöglicht „Native Waves“ mehrere Kameraperspektiven des gleichen Events auf mobilen Geräten zu erleben. Die Idee kam von zwei IT-Studenten aus Salzburg. Mittlerweile ist das Start-up ein ernst zu nehmendes Unternehmen mit Venture Capital. Der Mehrwert von Native Waves: mehr Raum für Marketing. Das mag eine gute Idee für Medienunternehmen sein. Denn mehr Premium Angebote bei Sport- und Konzerterlebnisse und eine größere Zielgruppe bringt auch mehr Werbeeinnahmen.

Jeff Burton, der Mitbegründer des Gaming- und Computerspieleunternehmens „Electronic Arts“ und aktuelle Berater der Europäischen Union in Sachen Start-ups, gewann die Sympathie aller Zoom-Zuhörer mit seinem Enthusiasmus für die Sache. Besonders überzeugte ihn das Unternehmen „Capricia Productions“ aus Israel. Ihr Gründer Arnold Nesis ist begeisterter Videogamer und Gitarrist. Er entwickelte das Computerspiel “The Birdcage”, das live gespielt wird und in der Aufführung die Funktion eines Instrumentes einnimmt, welches der Gamer – ähnlich wie der Cellist das Cello – spielt. Es ist eine konsequente Weiterentwicklung von Gaming und Musikaufführung, von der man in der Zukunft mehr zu hören erwarten darf. 

Am Horizont das Licht der Digitalisierung

Die Digitalisierung ist ein Möglichkeitsraum für die Kultur- und Kreativbranche, den die Konferenz innerhalb des 10h Live Stream durchschreitet und dabei unterschiedliche Wege skizziert: Wege für Institutionen, die in der Krise eine Chance für die Zukunft sehen und Wege für neue Lösungen und Technologien durch Start-ups. Nächstes Jahr bei der Music Tech Conference wird man stärker Bilanz ziehen können. Welche Institutionen werden die Corona Krise überleben und welche Erfolge und Misserfolge wird die Digitalisierung der Kulturbranche verzeichnen? Aus diesem Grund lohnt es sich nächstes Jahr wieder vorbeizuschauen. Oder, wie Jeff Burton es wunderbar sagte: „It’s a fantastic idea. In fact, I love it.“