Poetry Affairs: verschmelzende Kunstformen

Valeska Maria Müller, 20 Jahre

Das Festival ist vorüber. Der Nachmittag bricht an und man sehnt sich nach den täglichen „Poetry Affairs“, dem einleitenden Beginn eines jeden Festivalabends bei ECLAT. Darüber, was hinter den Kompositionen steckt, habe ich mit Martin Nagy gesprochen.

Martin Nagy: Unser Kollege Andreas Fischer (Bass) hat ein Stipendium vom Musikfonds erhalten, woraufhin er einen Antrag mit der Idee dieses Werkes stellte. Die grundlegende Idee war, nicht den normalen Weg von Werkaufträgen einzuschlagen, bei dem Komponist:innen auf Grundlage vorgegebener Texte Musik kreieren. Vielmehr sollten die Kunstschaffenden im Vornherein zusammenkommen und sich als Menschen kennenlernen, um daraufhin zusammen herauszufinden, wie man gemeinsam die jeweilige Ästhetik des Werkes finden kann. Das ist dann nicht mehr eine klassische Vertonung von Texten, die schon existieren, sondern der Text wird durch die Musik inspiriert und umgekehrt genauso.

Das war die Ur-Idee von Poetry Affairs. Und daraus hat Andreas dann, vor allem gemeinsam mit Christine Fischer, unserer Intendantin, und uns, den Neuen Vocalisten, die Idee weitergesponnen. Aus dem gesamten Projekt ist jetzt eine ziemlich große Sache geworden. Aktuell sind nur die kleinen Anfänge zu sehen – vergleichbar mit Miniaturen, die zu hören sind. Aber für das kommende ECLAT Festival planen wir einen ganzen Abend oder sogar zwei Abende aus der konzeptionellen Idee zu machen.

Letztes Jahr haben wir uns tatsächlich einmal alle gemeinsam (ca. zehn Komponist*innen und zehn Dichtpoet*innen) im Rahmen des Symposiums von „Musik der Jahrhunderte“ getroffen und konnten uns da ein ganzes Wochenende lang austauschen, unsere Projekte vorstellen, und der eigenen Denkweise und Ästhetik Ausdruck verleihen. Dort entstanden die ersten Kontakte, mit wem man vielleicht auch gerne zusammenarbeiten würde. In dieser Zeit sind bereits viele Ideen entstanden, welche anschließend in diversen Austauschsituationen, teilweise auch über Zoom, weiterentwickelt wurden.

Mit der Zeit wurde auch die Aufteilung der Besetzungen klar, die aber selbstverständlich gleichzeitig Resultat irgendwelcher praktischer Gründe ist, der Wohnorte zum Beispiel. Unsere beiden Sopranistinnen, Johanna und Susanne, sind bereits vor Festivalende nach Paris abgereist. Das hieß im Umkehrschluss für uns, dass sie auf keinen Fall die letzten zwei Tage besetzen konnten. Das sind dann manchmal solche ganz normalen menschlichen Überlegungen, die die Aufteilung der Besetzungen beeinflussen.

Poetry Affairs ist aktuell eine Konzertreihe in fünf Teilen. Jeder Festivaltag konnte also mit einem Teil der Reihe starten. Hängen diese fünf Aufführungen irgendwie miteinander zusammen, obgleich sie thematisch ganz unterschiedliche Bereiche abdecken?

Nein, erst einmal nicht. Also, noch nicht. Aktuell sind es reine Ideensammlungen, die diesen gemeinsamen Komplex ergeben. Es gab keine Vorgaben, was in der Komposition passieren soll, welche Ästhetik die Stücke ausdrücken sollen, in welche Richtung es gehen muss. Wir durften wirklich jegliche Wünsche als Künstler:innen äußern. Einiges ist dann im Austausch, so wie es ja auch bei der Kompositionsidee gedacht war, mit den Musiker:innen und Dichter:innen entstanden. Das ist eigentlich das Schöne. Alle Aufführungen und Konzertkonzepte unterscheiden sich. Da war Susanne Leitz-Loreys und mein Konzert, das einerseits irgendwie fast romantisch wirkt, wenn man an die Kombination aus Beethovenlied und künstlicher Intelligenz denkt, kombiniert mit der technischen Komponente, die ja dann zum Teil leider doch nicht so funktionierte, wie wir uns das erhofft hatten. Aber das gehört dazu. Dennoch sind es ganz verschiedene Welten, die in diesem Werk zusammengebracht wurden.

Dann kam am zweiten Abend Gemma Ragués Pujols Stück. Das bewegte mit seiner humoristischen Stimmung. Auf der einen Seite die ironische Art, aber gleichzeitig dann doch auch der ganz direkte, witzige Umgang mit der Problematik des Problems. Und heute war Poetry Affairs wieder eine ganz andere Art der Komposition. Andreas‘ Stück ist sehr fein in seinem kompositorischen Gedanken. Es ist auf nur wenige Materialien und stimmliche Techniken reduziert und schafft dadurch ebenfalls wieder eine ganz eigene Welt.

Das heißt aber, die Intention hinter Poetry Affairs ist nicht unbedingt, dass das Publikum alle fünf Vorstellungen besucht – jeder Titel kann auch für sich allein stehen und die Reihe wird stetig weiter ergänzt?


Ja, genau. Alle Teile können für sich stehen, jede Komposition soll für sich wirken. Das ist vergleichbar mit einer kleinen Installation, die man besuchen kann, bei der man aber auch nichts verpasst, wenn man nicht zu allen anderen kommen kann. Die einzelnen Stücke wirken für sich. Aber ich merke dennoch, gerade wenn ich auch die Aufführungen der anderen Kollegen anschaue, dass sich die Poetry Affairs-Reihe schon ergänzt. Dabei ist es besonders spannend, wie unterschiedlich die Menschen an das Projekt herangehen, wie unterschiedlich sie denken, was ihre Ansätze sind und wie mit Text umgegangen wird. Für uns war der Text bisher meistens nur Mittel zum Zweck, weil die Singstimme nun mal oft irgendeinen Text benötigt. Und als Sänger:innen nimmt man dann das Material, was an Thematiken zur Verfügung gestellt wird. Aber es ist sehr schön, dass sich bei Poetry Affairs Musik und Text wirklich gegenseitig befruchten.

Würden Sie sagen, dass sich Neue Musik aktuell im 21. Jahrhundert verändert? Und wenn ja, in welche Richtung?

Das ist immer eine spannende Frage. Ich mache Neue Musik seit 1984. Im Studium habe ich angefangen bei den Neuen Vocalsolisten zu singen. Betrachtet man diese Zeit, kann man auf jeden Fall sagen, dass sich Neue Musik verändert. Zu der damaligen Zeit, in den 70er/80er Jahren, war immer noch der Schatten der Nazizeit zu spüren, in der einfach alles verboten war. Erst in den 50er Jahren durfte man plötzlich wieder alles. Explosionsartig entstanden Dinge, die natürlich zum Teil auch Schrecken in der Bevölkerung ausgelöst haben – das ist klar. Erst ab den 90ern kann man eigentlich davon sprechen, dass Material gefunden wurde, mit welchem man einen neuen Umgang mit Musik fand. Ein Kombinieren in dem Sinne, dass Musik nicht nur Provokation ist oder einfach eine wahnsinnig experimentelle Geschichte, sondern ganz explizit versucht wird, wieder neue Wege zu finden. Und so ist es in der aktuellen Zeit eigentlich auch. Ich finde es total schön, dass wir zum Beispiel seit ein paar Jahren auch in der Neuen Musik wieder lachen können. Das konnte man früher nicht. Man musste immer super seriös sein.


Würden Sie sagen, dass der performative Anteil in der Neuen Musikszene immer mehr zunimmt?

Der nimmt auf jeden Fall zu. Und das bedauern wir manchmal auch sehr. Das war vor drei Jahren zum Beispiel so. Da waren die Kompositionen beim ECLAT Festival extrem performativ und hatten fast gar nichts mehr mit dem eigentlichen Singen zu tun. Alles war schauspielerisch oder konzeptionell gedacht. Eine Idee stand im Raum, die dann zwar stimmlich umgesetzt wurde, meistens aber eher auf Bewegungen oder sonstigen Dingen mit Materialien basierte. Und ja – wir versuchen die Komponist*innen ganz explizit auch immer dazu zu ermutigen, dann doch auch mal wieder mehr für die Stimme zu schreiben, mit dem Resultat, dass nicht nur die Idee im Vordergrund ist, sondern auch musikalische Möglichkeiten wieder mehr in den Fokus rücken.