Träume für alle

Valeska Maria Müller, 20 Jahre

„Herzlich Willkommen in der Dream Machine. Schön, dass du eingeschlafen bist. Wenn Du einen Traum hinterlassen möchtest, wähle bitte die 1. Wenn Du einen Traum hören möchtest, wähle bitte die 2.“

Beim Eintritt in den Konzertsaal wird das Publikum von einer Tonbandstimme begrüßt. Gleichzeitig spielen die Musiker auf der Bühne eine sphärenartige Klangkulisse. Die Dream Machine ist dem ECLAT-Publikum bereits seit Tagen bekannt. Eine Art Telefonzelle im Foyer des Theaterhauses lädt Tag und Nacht Besucherinnen und Besucher dazu ein, ihre eigenen Träume, Ängste und Sehnsüchte in Form von kurzen Audiobotschaften in den Hörer zu sprechen. In den Tagen und Stunden vor der Aufführung kommt Philippe Waldecker (Licht/Technische Leitung) regelmäßig zu der Kabine und überträgt die eingesprochenen Tonspuren auf seinen Laptop. Ziel ist es, die Träume Stuttgarts einzufangen und in das bestehende Performancekonzept einzubauen. So macht es das Ensemble seit diversen Aufführungen und hofft, das Traumbuch stetig auf der gesamten Welt erweitern zu können.

Anke Retzlaff ist der kreative Kopf hinter Dream Machine. Sie entwickelte das Konzept und bringt als Protagonistin die Geschichte auf die Bühne. Der rote Faden der Performance ist die Verarbeitung eines Trauerfalls und das ständige Weglaufen vor den damit verbundenen Folgen. Doch im Traum offenbaren sich die eigentlichen Gedanken. Hier kann man nichts verbergen und ein Entkommen vor dem Unterbewusstsein ist nicht mehr möglich. Diesen Instinkt verkörpert das Ensemble als Kollektiv. Es meldet sich immer wieder mit dem Klingeln des Telefons. „Hallo, hier ist Dein Unterbewusstein.“ Retzlaff legt auf, aber es meldet sich immer wieder. Die Schauspielerin reagiert auf die Musik, die Musik reagiert auf die Schauspielerin. Klang-, Lichtinstallation und Performance interagieren miteinander. Retzlaff spricht ihre Sätze nie vollständig aus, schaut stattdessen erwartungsvoll den Schlagzeuger Dominik Schad an, der daraufhin den Gedanken improvisatorisch mit verschiedenen Spieltechniken zu Ende führt: Mal in offenen und geschlossenen Trommelwirbeln, mal mit doppeltem Anschlag jedes Perkussionsinstruments. Beständig in unterschiedlichen Dynamikstufen. Von ganz leisen Erwiderungen bis zu einem Ausbruch im Fortissimo, immer wieder mit abrupten Dynamikwechseln. Zwischendurch wirft Schad seine Drumsticks in die Luft und spielt daraufhin in einem lockeren Grundrhythmus den Beat weiter. Hier wird die Interaktion und das vollständige gegenseitige Vertrauen des Ensembles besonders deutlich.

„Adler. A – a – a – a – a – a – a – Adler. Ich bin ein Adler. Ich kann fliegen. Adler. Und ich fliege. Nach rechts, nach links, nach oben, nach unten, geradeaus und rückwärts. Ich bin ein Adler und ich kann fliegen. Adler.“

Allmählich wird der ganze Konzertsaal zur Dream Machine. Träume, die das Ensemble bei seinen weltweiten Aufführungsorten gesammelt hat, werden immer wieder in die Handlung mit eingebaut, abgespielt und anschließend von Peter Florian Berndt und Lukas Schäfer gesampelt und gepitched. Lichteffekte lassen das Publikum in eine Art Trance fallen. Dazu kommen die ständigen Wortwiederholungen von Anke Retzlaff, die das Kursieren von Gedanken besonders gut zum Ausdruck bringen. Man hat das Gefühl, in einer interdisziplinären Welt zu schweben – irgendwo zwischen Traum und Realität. Alle Dinge in der Traummaschine lassen dabei Raum zum Assoziieren mit der eigenen Gedankenwelt. Ich gehe überwältigt und begeistert aus dem letzten Konzert des ECLAT Festivals. Mein erster Gedanke: Kann ich die Performance bitte noch einmal sehen?