Schon vorbei?

Masami Aiko, 35 Jahre

Das Mivos Quartett erweckt mit viel Einfühlungsvermögen und Verständnis für die zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten und ihre Werke die Neue Musik zum Leben.  Jedes Werk in ihrem internationalen Programm ist sehr interessant, mit seiner eigenen Charakteristik und Weltsicht, aber die Vielfalt und Komplexität der Klänge in Pendulum XI, »Strato« von Alex Mincek mit der E-Gitarre von Nadav Lev war für mich ein besonders spannendes Hörerlebnis.

„Ist es schon vorbei?“ Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit beim Zuhören dieses Werkes sehr schnell verging, obwohl es ca. 20 Minuten dauert. Denn die Musik ist so abwechslungsreich, mit verschiedenen musikalischen Elementen und unterschiedlichen Klängen, die nacheinander auftauchen! Außerdem ist es für mich neu, wie die fünf Instrumente in jedem musikalischen Abschnitt, einzeln oder in Gruppierung auf vielschichtige Weise unterschiedlich spielen und dennoch einen kohärenten musikalischen Gesamtraum schaffen.

Diese Mehrschichtigkeit der Klänge wird gleich zu Beginn deutlich: Dort gibt die E-Gitarre kontinuierlich schnelle, kurze Töne von sich, wie ein kleines Wesen, sehr schnell laufend, mit denen die Musik sich entwickelt. Einige Minuten später erklingt die Bratsche von Victor Lowrie Tafoya in einem murmelnden und narrativen Ton und die beiden Geigerinnen Olivia de Prato und Maya Bennardo spielen das Es und das B in einem anhaltenden Klang, der in Tonhöhe und Intensität variiert, während der Cellist Tyler J. Borden  kräftig die Saiten zupft und col legno schlagzeugartige Effekte erzeugt. Das Tempo und die Klangtextur der einzelnen Instrumente differieren, wodurch vier bzw. fünf verschiedene musikalische Zeiträume entstehen.

Es befindet sich ferner eine Szene in einem späteren Teil, wo es kohärent und groovig wird. Dies geschieht nach der Szene, in der der Bratschist sein Instrument wie eine Gitarre hält und zwei Geigerinnen mit ihren Fingern sehr energisch die Saiten zupfen. Das Cello und die E-Gitarre wiederholen jeweils eine Weile ein Tonmuster, so dass es wie Minimal Music, allerdings sehr komplexe, klingt. Dann geht es wieder in eine andere Art von vielschichtiger Musik über.

Ein weiterer Höhepunkt kommt, als alle fünf Musiker*innen kräftig die Saiten zupfen und achtmal einen anhaltenden, kirchenglockenähnlichen Ton spielen. Auch hier wird der glockenartige Klang von Gitarre und Cello erzeugt, aber der Bratschist und die Geigerinnen spielen die langen Noten auf eine andere Weise ohne Unterbrechung: Ihre Töne schwanken und verzerren sich immer neu und harmonieren sogar einmal in einer reinen Quinte. Irgendwie ähnelt das der Atmosphäre vor Konzertbeginn: Zu meiner Überraschung drehen die Instrumentalist*innen die Wirbel, um die Schwankungen des Klangs zu erzeugen! (Bisher habe ich noch nie gesehen, dass ein*e Musiker*in während einer Aufführung einen Wirbel umdreht…!) Während aus der Harmonie der reinen Quinte ein dissonanter Klang entsteht, der wie zerrissen scheint, spielt die Gitarre das absteigende Arpeggio, dessen letzter Ton cis vom Cello übernommen wird. Damit ist die nächste Szene verbunden.

Wenn man abends oder nachts durch die Straßen geht, sieht man die Beleuchtung von Gebäuden und Wohnungen. Unter jedem Licht befinden sich Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen und Lebenssituationen. Oder Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen Hintergründen leben auf der Erde und existieren im gleichen Zeitrahmen. Daran erinnert mich Pendulum XI, »Strato«  von Alex Mincek.