Verdrängtes und Befreites

Antonia Katharina Marx, 28 Jahre

Verdrängtes hervorlocken. Ausgegrenztes eingliedern. Vermeintlich Verstörendem begegnen, sodass es sich nicht in Abspaltung und Gewalt seinen Bann brechen muss. Es ist ein psychologisches Erkunden, das sich die Performancegruppe Oblivia zusammen mit Komponistin Yiran Zhao und Lichtdesignerin Meri Ekola zum Thema gemacht hat, die notwendige Therapie einer kranken Gesellschaft.

Bei Zuschauereinlass warten auf dem schwarzen Tanzboden in paralleler Formation drei Körper in bequem aufgestützter, seitlich liegender Haltung – meerjungfrauenartig, wie eine Formation Robben an der Küste. Mensch-Tierwesen. Gehüllt in schwarze lederartige, glitzernde Hosen mit schwarzen durchsichtigen, plauschigen Blusen, dazu den Blick herausfordernd, einladend ins Publikum gerichtet. Sie beginnen mit einer Erzählung und mehrstimmigem Gesang.

„Verdrängen Verdrängen Verdrängen“ ist voll von derart skurril anmutende Settings, die sich langsam durch unaufdringliche Variationen und Wiederholungen entfalten und zu verzaubern beginnen. Die ungewöhnlichen Bilder drängen sich dem Zuschauer auf, er muss sie ertragen. Es ist nicht möglich, sie stereotypisch einzuordnen, als pure Referenz auf irgendwas. Vermeintlich peinliche Situationen verlieren mit der Selbstverständlichkeit und Offenheit, in der sie gezeigt werden, ihre Schamhaftigkeit. Durch den Umgang mit Zeit und die feinen Nuancen der Bilder entsteht in der Dauer der Aufführung ein Kosmos, der eine große Sogkraft aufbaut – hat man sich bis dahin noch nicht innerlich verabschiedet und die Performance als „komisch“ deklariert, eröffnen sich den Zuschauer*innen skurrile ästhetische Erfahrungsräume.

 „Es gibt keine klare Message“, erklärt Performerin Annika Tudeer im Interview. Es ist der Gruppe vielmehr wichtig, Räume zu öffnen und den Zuschauer*innen Platz zu lassen für eigene Reflexionen und Wahrnehmungen. So tauchen mitunter auch kulturelle Gemeinplätze der Verdrängung auf und Emotionen, die gleichzeitig schön und verstörend sind. Viele Themen aus der Recherchephase werden nicht explizit angesprochen, erklärt die Gruppe über ihren Prozess. Sie sind aber trotzdem noch irgendwie präsent, bereit, ihre Wirkung zu entfalten.

In den Szenen entdeckt man eine Welt voller seltsamer und doch faszinierender Gestalten, die das Publikum mit langen Blicken visieren, gleichzeitig jedoch so sanft und manchmal auch ratlos erscheinen, dass sie viel mehr in den Bann ziehen als verstören. Sie lassen mit scheinbar absurden Handlungen feine Nuancen des menschlichen Seins sichtbar werden, mitunter auch Verletzlichkeiten, und man beginnt vermeintliche Schwächen und Peinlichkeiten der eigenen Existenz als etwas Schönes und Poetisches zu empfinden.

So kann der Besuch dieser Performance dazu führen, den eigenen Körper anders wahrzunehmen. Sensibler. Befreiter. Dem Körper als Material fällt eine wichtige Rolle zu, wie die Performancegruppe weiter im Interview erläutert. Er sei ein Ort, an den man zurückkommen kann, nach all den Geistern, denen man mitunter begegnet in Emotionen und Gedanken. Aber im Körper finden auch kulturelle Verdrängungen statt. Nicht nur einzelne Körper, sondern auch der kollektive Körper sei geprägt dadurch, was ihm durch Erziehung in unserer Gesellschaft vermittelt wird. Die Art, wie wir unsere Körper benutzen, wie sie gesehen und präsentiert werden und wie frei sie sind ist eine Frage im größeren politischen Sinn, betont die Performerin Alice Ferl.

Zur Rolle der Musik sagt Komponistin Yiran Zhao im Interview, sie sei verwoben ins Gesamtkunstwerk. „Man kann die Komposition oder das Licht nicht vom Kunstwerk trennen. Die Musik steht nicht im Vordergrund aber auch nicht im Hintergrund.“ Vielmehr sei sie mit den Körperhandlungen und vokalen Aktionen der Performer und mit der Licht-Performance verschmelzend. Und in der Tat sticht die Musik nicht einzeln heraus, sodass sie nicht aufgesetzt wirkt, sondern die Aussage des Stücks und die poetischen Bilder unterstützt.

Die Inszenierung spielt mit Körperlichkeit in einer Art, die fernab gängiger Klischees und einengenden Vorstellungen von ihr ist. Sie macht Lust darauf zu entdecken, wer wir als Menschen sind und wer wir sein könnten.  “Spirit needs space” erklingt es in einer Szene und so kann man durch die Performance einen kleinen Blick auf eine andere Perspektive der Körper erhaschen. Inspirierend und befreiend. Einzig das Ende wirkt irgendwie unbefriedigend. So als wäre etwas noch nicht vollkommen entfaltet, nimmt es dem Stück ein wenig die Chance, sich genauso würdevoll und poetisch von seinen Zuschauern zu verabschieden, wie es begonnen hat.