Synthesizerkino

Marie Braun, 25 Jahre

Eine weite, flirrende Landschaft, aufgewärmt durch die im Zenit stehende Sonne, blauer Himmel, so gut wie keine Wolken. In spärlich vorhandenen Bäumen und Sträuchern sitzen Insekten und Vögel und zirpen, zwitschern, gurren und knurren vor sich hin. Mitten durch diese Idylle führt eine Bahnlinie und gelegentlich rattert ein quietschender Zug darüber. Von irgendwoher kommt ein Rauschen, so als ob ein Autoradio nach Empfang sucht. Und oben am Himmel fliegen dröhnende Flugzeuge und hinterlassen Kondensstreifen.

Dieses bunte Kopfkino sehe ich vor meinem geistigen Auge, während ich der Uraufführung von „…where foreigners meet.…“ von Karen Power lausche. Eine aus Feldaufnahmen in der Sierra Nevada bestehende Soundscape, Klanglandschaft, mischt sich dabei mit Geräuschen, die von Synthesizern erzeugt werden. Das Stück wurde vom Synthesizer Trio Lange/Berweck/Lorenz in Auftrag gegeben. Mit Powers Musik wandert das Trio auf den Spuren von gleich besetzten Ensembles, die in den 1970er Jahren die klanglichen Möglichkeiten von Synthesizern erkundeten. „Reviving the Tradition“ ist darum der passende Titel des Konzertes beim ECLAT-Festival. Dabei werden neben Karen Powers Werk noch zwei Werke des Komponisten Bernhard Lang aufgeführt. Gemeinsam zeigen alle Stücke die enormen klanglichen Möglichkeiten von Synthesizern, die viel mehr sind als nur ein Ersatz für Keyboard oder E-Orgel, wie Sebastian Berweck im Gespräch erzählt. Er, Silke Lange und Martin Lorenz besitzen „einen ganzen Fuhrpark“ von verschiedenen Instrumenten, da die älteren Synthesizer auf analoger Technik basieren und damit andere Klänge produzieren können als die modernen digitalen Geräte und außerdem jeder Instrumententyp einzigartig ist. Berweck vergleicht Synthesizer deshalb mit Kirchenorgeln, bei denen auch jedes Instrument unterschiedlich ist.

Bei Karen Powers’ „…where foreigners meet.…“ stehen vor allem von Synthesizern produzierte Geräusche im Fokus. Im Interview vor der Uraufführung erzählt die Komponistin von der Entstehungsgeschichte des Werkes. Als das Synthesizer-Trio bei Power anfragte, ob sie ein Werk für drei Synthesizer schreiben wolle, wählte die Komponistin Feldaufnahmen der Sierra Nevada in den USA als Grundlage aus. Ihre Feldaufnahmen macht Power gerne in Gebieten, die nur dünn besiedelt sind. Dort erkundet sie den „natural pace“ der Orte, etwa im Amazonas, in der Arktis oder eben in der Sierra Nevada. Bei Aufnahmen dort bemerkte sie einmal, dass das ständige Vogelgezwitscher verstummte, als ein Flugzeug am Himmel flog. Erst als das Flugzeug verklungen war, begannen die Vögel wieder zu singen. Diese menschliche Interferenz in natürlicher Umgebung ist Thema von „…where foreigners meet….“. Am Anfang des Stückes stehen sich Naturgeräusche in Form der im Hintergrund laufenden Soundscape und die von den Synthesizern symbolisierten Menschen als Fremde gegenüber. Doch im Verlauf des Stückes nähern sich beide Ebenen an und vermischen sich, sodass am Ende kaum noch zu unterscheiden ist, welche Klänge vorproduziert sind und welche live gespielt werden, ob man echte Zikaden zirpen hört, oder ob man die Synthesizer hört, die so tun als ob sie Zikaden wären, wie es Interpret Sebastian Berweck beschreibt.

Die Noten für das Stück gibt es in doppelter Form. Zunächst auf Papier, wobei grafische Elemente mit Zeitangaben und Spielanweisungen ergänzt sind. Außerdem gibt es für jeden der Interpreten eine individuelle „akustische Partitur“, die Silke Lange, Sebastian Berweck und Martin Lorenz über Kopfhörer direkt ins Ohr bekommen. Darin hören sie jeweils unterschiedliche Signale, Frequenzen und Geräusche aus den Feldaufnahmen, die sie dann musikalisch verarbeiten. Karen Power spricht von einem „Living Piece“, das bei jeder Aufführung etwas anders ist, da die Audiopartitur eine improvisatorische Ebene mit in das Stück hineinbringt. Der rahmende Soundscape bleibt jedoch immer gleich und gibt dem Stück einen festen Kontext.

Beim Zuhören von „…where foreigners meet…“ finde ich es spannend, den einzelnen Geräuschen und Klängen nachzuspüren, ihrer Symbiose zu lauschen und die evozierten Bilder im Kopf zu verfolgen. Die meiste Zeit über spüre ich dabei eine tiefe Ruhe und Konzentration, da die vertrauten Naturgeräusche eine idyllische Geborgenheit vermitteln. Die Verkehrsgeräusche finde ich nur dann störend, wenn sie sehr laut und dominant sind. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich als Bewohnerin einer dicht besiedelten Industrienation fast nur mit vom Menschen geprägten Lebensraum vertraut bin, und ich fürchte, dass ich nicht die einzige bin, der es bei diesem Stück so ergeht. Für mich hat Karen Powers Idee, auf die natürliche Soundscape von Orten und ihre menschliche Beeinflussung hinzuweisen, deshalb eine starke Relevanz.