Dass ich die Luft angehalten habe, fällt mir erst auf, als ich wieder einatmen muss. Leise säuselnd beginnt das Stück „Vertigo“ von Anna Korsun. Johanna Vargas singt einen klaren, hohen Ton in einen pinken Plastikschlauch, Susanne Leitz-Loray in einen blauen. Mit leichtem, ebenfalls hohem Ton steigt die Klarinettistin Annelise Clément ein. Es entsteht ein vibratoloser Klang, der luftig im Raum schwebt und gleichzeitig dicht und kompakt in den Ohren klingelt. Sébastian Boin dirigiert im Sitzen mit unaufgeregten Bewegungen. Zu dritt kreisen ihre Klänge von der Bühne durch das Publikum. Gemeinsam schwanken die Stimmen nach unten, nach oben und wieder zurück, ohne erkennbar tonale Melodie. Sie öffnen einen transzendenten Klangraum, in den die singende Säge mit ihrem klagenden, gedehnten Timbre problemlos eintritt. Es entsteht eine psychedelisch abstrakte Tonkulisse, die als neblige Wolke im Raum steht.
Zwei weitere Instrumente kommen dazu: sporadisch, unkonkret und unaufdringlich ertönt Caroline Delumes E-Gitarre. Als Claudio Bettinelli von der Singenden Säge zum Theremin wechselt, ist es um mich geschehen. Gefühlt schwebe ich 50cm über meinem Sitz, bin bei der vibrierenden Meditation ganz dabei. Die gemeinsamen Glissandi werden durch das Schwanken der langen Theremintöne verstärkt. Sie werden weiter und lauter, dehnen sich aus. Die Sängerinnen lassen die Schläuche durch die Luft sausen. Alle drehen gewissermaßen zusammen durch, geraten in eine leichte, noch immer leise Extase. Zum Schluss wechseln auch die Instrumentalist*innen zu Schläuchen und kommen zu der Ruhe, die mir zu Beginn des Stücks den Atem verschlagen hat. Die langsame Einfachheit des Werkes zieht mich hinein und begeistert mich nachhaltig. Am liebsten hätte ich meinen eigenen Ton hinzugefügt, um mich vollständig im Klang zu verlieren. Gehe jetzt Schlauch kaufen.