Wir in der Ewigkeit

Julia Kaiser, 99 Jahre

Beim Kammermusikfest Sylt können Besucherinnen und Besucher der Insel Ostern so intensiv erleben wie vielleicht noch nie zuvor. Berührungen mit der Ewigkeit stehen diesmal auf dem Programm der Konzerte an vielen Orten auf der Insel, in Gestalt ikonischer Werke vieler Epochen. Wieder sind exquisite Solistinnen und Solisten aus ganz Europa angereist, um hier gemeinsam Momente des Berührtseins zu schaffen, für einander, für sich selbst, für Kenner genauso wie für Menschen mit noch ganz unverstellten Ohren. Festivalleiter Claude Frochaux versteht es, diese Momente der ungefilterten Ewigkeit immer wieder zu brechen. Durch Stücke, die wie moderne Spiegel wirken oder wie Kommentare. Auch, weil sonst die evozierten Emotionen in dieser Vielfalt kaum zu ertragen wäre.

Ungefiltert

Zum Auftakt in St. Peter in Rantum, Sylts einziger Kirche mit einem Reetdach, spielte das Navarra Quartet Joseph Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“. Jede der sieben kurzen Sonaten trägt Schmerz und Trauer, aber auch Vergebung und Erlösung in sich. Für seine brillante Aufnahme dieses Werks wurde das Streichquartett aus London für den renommierten Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert. Auf Sylt verschränkte es ausgewählte Sätze von Haydn mit Thomas Ades‘ „The For Quarters“, das den Tageszyklus beschreibt, beginnend mit der undurchdringlichen Nacht mit ihren fremdklingenden Geräuschen, bis zur abendlichen blauen Stunde, „the 25th hour“ des folgenden Tages. Ades‘ Werk verbindet sich wunderbar mit Haydns trostreiche Komposition. Der Brite verdichtet perlende Pizzicati wie Tautropfen zu einem heftiger werdenden Morgenregen, der in gleicher Tonart überzugehen scheint in das ewiggültige Aufblitzen von immer Sternenlichtern bei Haydn. Das ältere Werk ist für den klar religiösen Kontext der Weihung eines Andachtsortes in Auftrag gegeben worden. Es gewinnt an Tiefe, weil die Konnotation humanistisch erweitert wird. es geht in diesen Tagen um menschliche Beziehungen. Freundschaft, Missgunst, Verleugnung, Verrat, Anteilnahme, Hilflosigkeit, Trauer und schließlich auch Vergebung und tiefste Verbundenheit mit einander. Gleichzeitig die unendliche Weite zu spüren und ganz nah vor Augen zu haben, wie die Energie zwischen den Musikern fließt, ist das große Geschenk, das in Kammermusik für jeden bereitliegt. Das KmfSylt bietet einen ganzen Osterstrauß solcher Momente an.