Wow! Chineke!

Friederike Peters, 16 Jahre

Das Chineke! Junior Orchestra feiert diesen Sommer sein großes Debüt mit einer ersten internationalen Tour. Es eröffnete das Lucerne Festival, bevor es zum Festival Young Euro Classic weiterreiste und mit seinem Auftritt in Asterdams Concertgebouw seine Tour beendet. Das Orchester bricht aus der Tradition der klassischen schwarz-weißen Konzertkleidung aus, fällt als erstes auf. Denn die Musiker_innen tragen alle unterschiedlich farbige Oberteile, die zusammen die Farben des Regenbogens ergeben.

Die erste Konzerthälfte beginnt mit der Othello Suite op. 79, welche 1909 von dem Afro-Briten Samuel Coleridge-Taylor komponiert wurde. Aufgrund seines internationalen Erfolgs wurde er eine Leitfigur der Afroamerikaner_innen und wurde bei seiner ersten Amerikareise von Theodore Roosevelt empfangen. Sein Werk ist ein gelungener Auftakt für dieses besondere Konzert, welches mit sehr viel Musikalität von den jungen Musiker_innen interpretiert wird. Die verschiedenen Charaktere, die das Orchester den unterschiedlichen Sätzen verlieh, stimmten gut mit der Intention des Komponisten überein. Der Willow Song klingt träumerisch, und man kann geradezu spüren wie sich die Bäume im Wind bewegen.

Nachdem der Flügel auf die Bühne gerollt worden ist, erklingt „Callaloo – A Caribbean Suite“ von dem 1978 geborenen Stewart Goodyear. Der Name der Suite ist nach seinem Lieblingseintopf aus Trinidad, der Heimat seiner Mutter, benannt. Der kanadische Pianist und Komponist schrieb das Werk eigentlich für sich, da er regelmäßig seine Stücke selbst interpretiert. Bei Young Euro Classic spielt es der junge Pianist Gerard Aimontsche, und wie! Er begeistert mit seinem Gefühl für die lateinamerikanische Musik und seinem großen technischen Können. Die oft sehr komplexen Rhythmen fügen sich natürlich zusammen. Triolen und Sechzehntel umspielen sich und verbinden sich wie verschiedene Gewürze in einem köstlichen Gericht.

Vier Meter Luftlinie entfernt, am zweiten Pult der ersten Geigen, sitzt der 20 jährige Josh. Er streicht, was das Zeug hält und macht dem Namen des Orchesters alle Ehre. Denn Chineke!, hat er vor dem Konzert erklärt, kommt aus der nigerianischen Sprache Igbo und ist ein Ausruf der Begeisterung. Das Chineke! Orchestra, das Mutterorchester des Junior Orchestra, ist das erste professionelle Orchesterin Europa welches eine Mehrheit schwarzer, asiatischer und Musiker_innen aus verschiedenen Ethnien zusammenbringt. Seit seiner Gründung im Jahr 2015 setzt das Orchester ein politisches Zeichen für mehr Diversität in der klassischen Musik, sowohl unter den Interpret_innen als auch in der Auswahl des Programmes. Für Layla, die Stimmführerin der Cellist_innen des Junior Orchestra, ist die Besonderheit des Orchesters, dass alle Mitglieder_innen eine große Gemeinschaft bilden und dass sie durch die Musik eine besonders Freundschaft verbindet. „Das Orchester erschafft einen Safe Space, der allen sehr viel bedeutet und oftmals wichtig für unsere musikalische und persönliche Weiterentwicklung ist.“

Ein weiteres Interview konnten wir mit den beiden Hornisten Ben und Isaac führen, die schon länger dabei sind. Ben ist mittlerweile Tutor der Schlagzeuger und berichtete über seine persönlichen Erfahrungen. Als Sohn einer Arbeiterfamilie aus einem heute populären Viertel Londons hat er früher mit Akzent gesprochen, den er ablegen musste, um in seiner musikalischen Laufbahn akzeptiert zu werden. Heute, mit Mitte zwanzig, bemerkt er eine positive Entwicklung, da Mitspieler_innen im Orchester ihren ursprünglichen Akzent behalten. Ben findet es toll, dass die jungen Musiker_innen die Möglichkeit haben, ein so bedeutendes Werk wie die 4. Symphonie von Tschaikowsky einzustudieren.

Die Version des Orchesters werde nicht komplett dem Original gleichen, denn es geht im Chineke! Junior Orchestra vielmehr darum mit Freude zu spielen, als nach Perfektion zu streben. In der Tat ist der erste Satz an einigen Stellen etwas wackelig, aber die Dirigentin Glass Marcano holt aus den Musiker_innen das Beste heraus und motiviert sie immer wieder, noch eine Schippe drauf zu legen. An dieser Stelle kann ich nur sagen: Chapeau an die tollen Stimmführer_innen, die immer sehr klar die Einsätze der Dirigentin übernehmen und die ganze Gruppe mitreißen. Der erste Satz ist mit Abstand der technisch komplexeste. Die folgenden Sätze zeichnen viele Soli der Bläser aus, die dann von den Streichern übernommen werden. Der zweite Satz beginnt mit einem wundervollen Solo der Oboistin, die mich sehr beeindruckt, da sie ihre Begeisterung für die Musik in dem Solo ausdrückt. Die Celli übernehmen das Thema und dann das ganze Orchester und man kann sehen, wie die Musiker_innen sich zur Musik bewegen und eine Welle durch das Orchester geht.

Chineke! begeistert auch mit seinem unglaublich warmen Klang, der mich sofort in den Bann zieht. Als sich die Holzbläser die Melodie hin und her reichen, merke ich, wie sehr die Musiker_innen in Bezug zueinander spielen und die Spielart der anderen, wenn auch auf einem anderen Instrument, genau imitieren. Der dritte Satz beginnt sehr spielerisch und die Dynamiken werden auf natürliche Art von den Musiker_innen übernommen. Die Dirigentin gibt zuerst nur hin und wieder Impulse ohne wirklich zu dirigieren, da sie dem Orchester komplett vertrauen kann. Das Konzert endet triumphal und der ganze Saal steht jubelnd auf, um das Orchester und seine Dirigentin zu feiern.