Alles neu und einzigartig?

Rosa Schnidrig, 22 Jahre

„Wenn man die Dinge verändern will, braucht das immer ein bisschen Zeit“. Antje Weithaas , Violinistin und Professorin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin weiß um die hohen Ansprüche, die sie und Oliver Wille, Violinist und Professor für Kammermusik in Hannover, sich für die Umgestaltung des Joseph Joachim Violinwettbewerbs gestellt haben. Als die Frage „Machen wir’s, machen wir’s nicht?“ für die international renommierten Musiker noch offen im Raum stand, setzten sie sich in einem Restaurant in Berlin zusammen und berieten über die Sinnhaftigkeit von Wettbewerben. Wozu sind sie eigentlich (noch) gut?

Im Gespräch erzählen die beiden der Redaktion JungeReporter, dass sie die Bedeutung eines Wettbewerbs vorrangig in der Motivation während der Vorbereitung sehen. Es gehe darum, ein Programm auf den Punkt zu perfektionieren. Dabei entsteht die Chance, von kundigem Publikum wahrgenommen zu werden und den Einstieg in die Konzertwelt zu schaffen.

Jury und Wettbewerb neu denken

Von der heutigen Wettbewerbskultur malt Oliver Wille ein tristes Bild. Sie sei zu einer Art Parallelwelt geworden, die geschlossen neben der Welt der Konzerte existiert. Hohe Preisgelder, besonders im asiatischen Raum, förderten einen „Wettbewerbstourismus“, es werde zu einer Art Sport, mit flinken Fingern und spitzem Bogen die Preisgelder abzusahnen. Und es lässt sich nicht schlecht davon leben. An dem Punkt Parallelwelt und Preisgeldjäger setzt die Veränderung des JJV an. Oliver Wille formuliert die Idee als ein Zusammenbringen der Konzertwelt und der Wettbewerbswelt. Außerdem gehe es darum, den jungen Geiger*innen etwas Nachhaltigeres als Geld mitzugeben, denn das Preisgeld sei ja irgendwann ausgegeben. Was der JJV den Teilnehmerinnen und Teilnehmer bieten will, ist ein öffentliches Podium, eine Art Messe. Konzertveranstalter hören sich besonders ab der Semifinalrunde per Video, aber auch vor Ort die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, und werden sie im Idealfall für eine Veranstaltung engagieren. So sucht etwa das Opernhaus Hannover Violinisten für ein bestimmtes Programm, auch Oliver Wille hält Ausschau nach musikalischer Ergänzung für sein eigenes Festival. Dabei rückt, bewusst und beabsichtigt, die Wichtigkeit der Wettbewerbsjury in den Hintergrund.

Die Chance auf eine Krise

Besonders ist auch der Umstand, dass in der Vorrunde alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweimal vorspielen, und zwar an verschiedenen Tagen. Zuerst solo, dann mit Klavierbegleitung. Dabei wird der hohe Stressfaktor einer einzigen Momentaufnahme abgeschwächt. Den jungen Geigerinnen und Geigern wird mehr als eine Chance gegeben, und damit auch die Möglichkeit, einen schlechten Tag, eine Krise auszugleichen. Antje Weithaas betont ihren Eindruck, dass den jungen Menschen heute die Chance auf Krisen genommen wird. Videos und Livestreams, anonyme Kommentare – alles ist sofort im Netz und das erhöht den Druck, denn so bleibt keine Krise privat.

Gemischte Jury und ein bisschen Menschlichkeit

Es wäre für das neue Wettbewerbskonzept nicht genug, nur die zentrale Rolle der Jury ein wenig zur Seite zu rücken. Auch deren Zusammensetzung ist in diesem Jahr besonders, sie ist eine bunte Mischung von Musikkennerinnen und -kennern aus verschiedenen Disziplinen, darunter eine Journalistin, eine Sängerin und ein Pianist. „Wichtig ist, dass alle mit ihrer eigenen Ästhetik hören“, erklärt Antje Weithaas. Aus ihren Worten: „Sie bewerten – sie müssen ja, leider“ klingt ihre tiefe Abneigung gegenüber Wettbewerben an. Dass sie sich gemeinsam mit Oliver Wille trotzdem des künstlerischen Konzeptes eines Wettbewerbs angenommen hat, liegt vielleicht ein klein wenig daran, dass Antje Weithaas 1991 selbst die erste Gewinnerin des JJV war. Von dieser Erfahrung berichtet sie, dass es sehr familiär gewesen sei, insbesondere auch wegen der Gastfamilien, die während der Zeit des Wettbewerbs die Teilnehmenden mit viel Fürsorge beheimaten. Sie berichtet von dem „Gefühl von Verständnis und Unterstützung“, dem Versuch, „ein bisschen Menschlichkeit in dieses doch schreckliche Wettbewerbssystem hineinzubringen. Denn von Natur aus ist ein Wettbewerb etwas Schreckliches.“ Dieser Natur haben die beiden Musiker den Kampf angesagt, aber, so Oliver Wille, nicht mit dem Baseballschläger. Es gehe ihnen um eine Veränderung „im Geiste“. Dabei wollen sie klug und behutsam mit der Tradition umgehen. Das sei nicht immer einfach, besonders wenn die Dinge lange „gleich oder ähnlich“ waren. Dennoch sei ihnen ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht worden, betont Oliver Wille.

„Es muss eine bewusste Entscheidung sein, hier teilzunehmen“

In seiner gesamten Außergewöhnlichkeit zeigt sich der Joseph Joachim Violinwettbewerb erst so richtig nach der Vorrunde. Auf das erste Solo-Rezital und das Konzert mit Klavierbegleitung folgt nun für die 8 Semifinalistinnen eine besondere Herausforderung. Die Camerata Bern, ein Kammerorchester, stellt sich allen Teilnehmenden für ein Konzert zur Verfügung. In nur einer Probe soll ein Mozart-Violinkonzert unter der Leitung der jungen Geigerinnen und Geiger erarbeitet werden. Das sei etwas Einzigartiges, so die beiden Künstlerischen Leiter des JJV, und zwar nicht nur im Rahmen eines Wettbewerbs. Antje Weithaas betont, dass wohl die wenigsten der Teilnehmenden jemals die Gelegenheit hatten – oder je haben werden – ein Kammerorchester zu leiten. Ähnlich anspruchsvoll ist die nächste Aufgabe die sich für die Semifinalisten stellt: Sie dürfen für einen Streichquartettsatz von Joseph Haydn Teil des Kuss Quartetts werden. Wieder ist nur eine Stunde Zeit, das Werk musikalisch zu ergründen und einzustudieren. Die spielerischen Anforderungen sind weit gefasst und hoch. Worum es Antje Weithaas und Oliver Wille aber im Kern geht, ist nicht technisches Können oder theoretisches Verständnis. Es geht ihnen um junge Künstler und Künstlerinnen, die auf der Bühne den Mut finden zur „Risikobereitschaft, sein Herz da hinzulegen. Dass sie ihre Geige benutzen um sich auszudrücken, und nicht Geige spielen um des Geigespielens Willen.“ Diese Kunst zeige sich dann zwischen den Tönen, und darauf komme es an.

Ob diese Gedanken der beiden Musiker aber auch im Verlauf des Wettbewerbs spürbar bleiben? Antje Weithaas und Oliver Wille gestehen, sie seien schrecklich nervös. Denn jetzt seien ihnen die Hände gebunden, jetzt liege die Entscheidung bei der Jury, bei der Leistung der Teilnehmenden. Es wird sich erst später zeigen, ob ihre Ideen im Wettbewerb aufblühen können.