Die Energie aufsaugen und mitmachen

Jenny Schmidt, 24 Jahre

Das Saallicht ist gedimmt, das Murmeln der Zuschauer verstummt, denn gerade betreten die Violinistin Chiara Sannicandro und ihr Klavierpartner die Bühne. Es ist die zweite Vorrunde des Joseph Joachim Violinwettbewerbs (JJV) 2021. Als das Konzert beginnt und die ersten feinen Töne der Geige erklingen, ist die Aufmerksamkeit der Juroren und Musikliebhaber ganz auf die Wettbewerbsteilnehmerin gerichtet. Doch nicht nur sie sticht mit ihrem Talent in diesem Konzert hervor. Besonders empathisch wirkt der Pianist, dessen Töne in perfekter Harmonie mit der Geigenmusik stehen. Sein Name ist Boris Kusnezow.

Der klassische Pianist ist Solist und gefragter Kammermusikpartner, derzeit Professor an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und jetzt gerade Klavierbegleiter für den Joseph Joachim Wettbewerb. Dafür ist besonderes Feingefühl und ein Gespür für den Charakter des jeweiligen Geigers oder der Geigerin gefragt, erklärt Kuszenow im Gespräch mit uns JJV21 Reporterinnen. „Es geht darum, dass man sich in den zwei kurzen Proben, die man hat, stilistisch und vor allem emotional aufeinander einstellt“, so Kusnezow. Dabei steht nicht nur die Charakterfrage, sondern auch der musikalische Umgang im Mittelpunkt: „Ich versuche einfach, die Energie der Person aufzusaugen und mitzumachen.“ Immer offen zu bleiben und auf die Person zuzugehen, ist seine Herangehensweise. Aber nicht nur das gehört zu seinem Job, denn ein wichtiger Teil davon ist es auch, dass er seinen Partnerinnen und Partnern das Gefühl von Gelassenheit und Sicherheit gibt. Das Gefühl, dass trotz des ganzen Stresses jemand da ist, der sie während der Präsentation festhält und sie begleitet. Dass ihn dabei auch selber mal das Lampenfieber überfällt, kann er nicht leugnen. Nach all den Jahren der Bühnenerfahrung hat er aber einen Weg für sich gefunden, es zu reduzieren: „Neben guter Vorbereitung gehe ich manchmal eine kleine Checkliste in meinem Kopf durch. Ruhig sitzen. Ellbogen entspannen. Und Schultern entspannen.“ Was ihm aber am meisten hilft, ist die Konzentration, das Besinnen auf die Musik und sich dabei zu sagen: „Ich bin jetzt hier, ich spiele dieses schöne Stück und das ist einfach wunderbar.“

Diese Konzentration kurz vor dem Auftritt ist auch für den Beginn des Stückes eines der wichtigsten Güter. Denn dass Geiger und Pianist zeitgleich anfangen zu spielen, ist kein Zufall. Das Geheimnis liegt vor allem im Einatmen des Violinisten, kurz bevor er den ersten Ton spielt. Darin verstecken sich das Tempo und der Charakter des Stückes. Ist der Luftzug kurz und stark, kommt gleich etwas Großes. Ist der Atem leichter und langgezogen, ist der Start in das Stück sanfter. Dabei als Musiker aufeinander einzugehen hat viel mit Vertrauen zu tun. „Die Violinisten müssen ihre bestmögliche Version spielen. Unser Job ist es, ihnen das Gefühl zu geben, dass dies möglich ist.“

Wenn das Werk begonnen hat und der Jury vorgetragen wird, steht nicht nur der Geiger im Vordergrund. Auch wenn es um seinen Platz in der nächsten Runde geht, darf er nicht immer dominieren. „Zum Beispiel schreibt Beethoven eine Sonate für Klavier und Violine. Nicht umgekehrt. Wenn die Musik an einer bestimmten Stelle die Führung des Klaviers erfordert, dann muss ich diese Rolle auch einnehmen“, erklärt Boris Kusnezow. Außerdem ist es für den Violinisten auch anstrengend, immer die Führung zu übernehmen. „Es ist für beide angenehmer, wenn man da die Waage hält“, so der musikalische Partner. Er berichtet allerdings, dass dies seine Art ist und jeder der drei weiteren Begleiter im Wettbewerb die Funktion auf seine Art interpretiert.

Dass den Teilnehmenden beim Joseph Joachim Violinwettbewerb gleich vier begleitende Pianisten zur Seite stehen, ist etwas Besonderes. Boris Kusnezow berichtet, dass es bei anderen Wettkämpfen meist weniger sind und man somit mehr Repertoire und weniger Zeit hat. Darunter leidet dann auch die Qualität. Der JJV setzt allerdings viel auf eine gute Qualität des Contests. „Es ist einfach wahnsinnig professionell gemacht. Und dass die Stiftung Niedersachsen im Hintergrund den Wettbewerb so großzügig ausstattet, ist ein großer Luxus“, erklärt Kusnezow. „Diese Veranstaltung hat eine lange Tradition und ist toll organisiert. Außerdem steht ein tolles Team im Hintergrund. Hier spüre ich, dass die Leute die bestmögliche Qualität wollen.“ Und nicht nur daran erkennt man, dass dieser Wettbewerb für Boris Kusnezow etwas Besonderes ist. Als Student saß er schon vielfach auf dieser Bühne, denn er ist an der Musikhochschule in Hannover ausgebildet worden. Nun sitzt er wieder im Konzertsaal seiner Studienzeit und beendet zusammen mit Chiara Sannicandro ihr grandios vorgetragenes Konzert. Unter großem Applaus verlassen die beiden Musiker die Bühne. Beide werden sie in den kommenden Tagen wieder betreten. Sannicandro konnte die Jury von sich überzeugen und Boris Kusnezow bereitet sich zusammen mit der Geigerin Elli Choi auf die erste Semifinalrunde vor.