Mit einem 16-minütigen Klanggarten startet das Eclat-Festival 2020. Bläser der Stadtkapelle Lahr und des Ensembles Aventure stehen in Kleingruppen beisammen, Laien- mit Profimusikern, verteilt im Vorraum, auf der Bühne und den Publikumsraum. Das Publikum ist eingeladen durch diesen Garten zu schlendern und vor jedem der neun Musikerbeete zu verweilen bis der nächste Klang Blüte trägt. Wie eine leichte Windbrise, bläst einem für zehn Sekunden der Ton entgegen. Ebbt für einige Sekunden wieder ab. Einsatzgeber für die Musikerinnen und Musiker sind die Stoppuhren ihrer Mobiltelefone. Man ist den Bläsern so nah, dass jede Note auf dem Papier erkennbar ist. So wird die gesamte Vorstellungslandschaft zu einem einzigen Wimmelbild – das Publikum steht auf den Rängen, setzt sich nach einer Weile auf die Bühne oder auf die Zuschauertribüne, lässt alles wirken, wartet auf den nächsten Impuls und auf die Antwort der anderen Bläser vom Ende des Raumes. Die Komposition besticht durch ihre Einfachheit und durch ihren interaktiven Charakter. Am Ende wird jeder Zuhörer seinen eigenen geernteten Fixpunkt mit nach Hause tragen. Auch Adrian Nagel, der Komponist von „Ausstellung ll“, geht bedächtig mit den Gästen durch die Reihen und wirkt zufrieden.
Unmittelbar im Anschluss folgt die Komposition von Sandeep Bhagwati. Sein Werk „Vistar“, zu Deutsch „Entfaltung“ breitet einen Klangteppich im Raum aus. Die Streicher des Stuttgarter Kammerorchesters sitzen dabei in einem inner circle in der Mitte der Bühne und werden vom jungen Streichorchester Weil im Schönbruch umringt. Einen Dirigenten gibt es nicht. Vielmehr wechseln sich die erste und zweite Geige mit der Taktvorgabe ab. Hoch, runter, links rechts – Für das professionelle Orchester taktgebend, weil die Profimusiker vor einer vollkommen ausnotierten Partitur sitzen. Die Laienmusiker klinken sich spielerisch und losgelöst vom Notenblatt mit einem Bordun, einem gleichbleibenden Grundton ein, in eine musikalische Diskussion, deren Diskurs unbekannt bleibt. Man rätselt als Zuschauer, wie viel Improvisation im Spiel des jungen Orchesters steckt und an welche Regeln sich gehalten werden. Das ganze Klangbild wirkt lauernd, immer wieder hat der Zuhörer das Gefühl, es entstehe ein Streitgespräch, das wiederum schlichtend beigelegt wird. Das ständige Auflauern und Abebben dieser Streicherdiskussion lässt einen geduldig warten, auf den Höhepunkt, den es nicht geben wird, auf die Teppichfalte, über die nicht gestolpert wird, auf die große Explosion, die nicht um sich schlägt und alles mitreißt, was drum herumsitzt. Auch diese 20 Minuten vergehen und manch ein Zuschauer jubelt: „Bravi“.
Das letzte Stück dieses Konzertes von Laien- und Profimusikern bringen Christoph Ogiermann und Tim Schomacker auf die Bühne. Mit „SINSHOME, oder: Die größte Kraft“ formieren sich ein Chor, ein Countertenor-Solist und zwei Musiker vor ihrer Videoinstallation als eine „körperliche Versammlung“. Ihr Ansinnen: Jeder Sinsheimer soll sich aus seinem Angestelltenverhältnis befreien und nach Hause gehen. Dieser Rückzug ins Private mündet in einer Verschiebung, letztlich der Auflösung ihrer eigenen Gruppe, des Chores. Das Stück erinnert an Michels Foucaults Aufsatz über Macht und Disziplin, durch welchen sich der Mensch unter der unsichtbaren Beobachtung Dritter zu einem gelehrigen Körper formiert, der letztlich im System funktionieren, sich von seiner Umwelt allerdings abwenden soll. Funktionieren soll er können, soll nachsprechen, was er beigebracht bekommen hat, jeglicher Ausfall oder Wahnsinn wird nicht geduldet. In „Sinshome“ ist man von kollektiven Ausrufen und den sich durch das Stück ziehenden rhythmischen Sprechakten, wie „Assos weg“ oder von der Aufforderung, alle Angestellten sollen nach Hause gehen, ist man als Zuschauer schnell irritiert. Der Kern, aus dem sich einzelne verständliche Elemente herausranken, lässt einen im Dschungel des Unverständnisses zurück – es sei denn, man hat den dazugehörigen Programmtext vorher studiert. Das Zurückziehen ins eigene „SINSHOME“, der Übergang in eine „einzellige Gesellschaft“ wird im kleinen Stil in der Stadt Sinsheim simuliert. Könnte diese Dystopie auch andere Orte betreffen? Der CHOR ist am Ende kein Chor mehr, sondern in seine einzelnen Teile „zerfallen“, die sich selbst darstellend, mit einem Smartphone ausgestattet, lachend von der Bühne laufen. Aus dem Off dringt noch Gelächter. Das war es. Die große Kraft der kollektiven Auflösung kann ernten, was sie gesät hat. Die Thematik ist ansprechend, was auf der Bühne geschieht, nicht überzeugend.