Die Bühne ist sein Zuhause – aber nur, wenn Gäste da sind

Nora Bahl, 17 Jahre

Der große Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt ist, wie der Name schon sagt, sehr groß und sehr prunkvoll, viel Gold, viele Kronleuchter, viele Büsten. Er gibt einem das Gefühl, ein König zu sein. Damit ist es nicht der typische Raum für ein Kammerorchester, so wie es das c/o chamber orchestra ist. Aber als das Ensemble zu musizieren beginnt, spielt das keine Rolle mehr, denn der einzige Fokus liegt auf den Musiker*innen und ihren Klängen. Obwohl sie nur zu zehnt sind, schaffen sie es, den ganzen Raum zu füllen und mit ihrer Bühnenpräsenz einzunehmen.

Was gleich auffällt, wenn das Orchester auftritt, ist, dass eine Person fehlt, die sonst selbstverständlich dazugehört: der Dirigent. Diese Entscheidung gegen einen Dirigenten sei ganz bewusst gewesen, erklärt Jason Denner, Klarinettist und künstlerischer Leiter der Gruppe. Denner hat in der sechsten Klasse im Blasorchester angefangen, Klarinette zu spielen. Dabei geblieben ist er seitdem, weil es ihm gefällt, dass man Teil des Ensembles ist und trotzdem viele Soli hat, wo er selbst gestalten kann. Das Gefühl beim Musizieren beschreibt er wie folgt: „Es ist für uns alle ziemlich routiniert, bis das Publikum da ist. Dann spürt man das Element, warum wir das alle machen. Man ist immer aufgeregt und freut sich auf das Spielen und da ist eine andere Atmosphäre, auf jeden Fall.“ Erst mit Publikum wird der Raum also zur Bühne. „Dann weiß man, wo man ist, man fühlt sich zu Hause.“

Ich fühle mich tatsächlich einbezogen in die Kommunikation zwischen den Musikerinnen und Musikern, die viel stärker fühlbar ist, als bei Orchestern mit einem Dirigenten oder einer Dirigentin. Wenn sie gleichzeitig einen Ton spielen, gibt die erste Violine den Impuls und alle schauen zum Geiger, Mark Kagan. Bevor sie ein Stück beginnen oder ein neuer Satz anfängt, schauen sich alle gegenseitig an und kommunizieren ohne Worte, wann es losgehen soll.

In der Probe sagt jeder seine Meinung dazu, wie das Stück interpretiert werden soll. Trotzdem merkt man, dass Jason Denner ein bisschen mehr die Leitung übernimmt als die anderen. Später erklärt er mir, dass sie diese Rolle von Probe zu Probe jemand anderem übergeben, besonders, wenn sehr wenig Probenzeit vorhanden ist, wie dieses Mal, weil es sonst viel sei, worauf man sich gleichzeitig konzentrieren müsse. Die kurze Probenzeit von nur zwei Tagen ist darauf zurückzuführen, dass das c/o ohamber orchestra als Vertretung für das spanische Nationale Jugendorchester auftritt, das coronabedingt nicht anreisen konnte. Das Publikum merkt aber nichts davon, da beim Konzert die Stücke grandios gespielt werden. Man merkt, dass alle Mitglieder des Ensembles Berufsmusikerinnen und -musiker, also Profis sind. Sie bewegen sich mit ihrer Musik.

Die Klarinettisten Jason Denner und Hugo Rodríguez bewegen ihre Klarinetten mit der Musik hoch und runter, die Bratscherin Neasa Ní Bhriain geht leicht in die Knie und streckt sich in die Höhe, der Kontrabassist Paul Wheatley bewegt seinen Kopf. Man sieht, dass sie auch Freude am Spiel haben. Der Kern der Gruppe kennt sich schon aus dem Jugendorchester Baltic Youth Philharmonic, aus dem das c/o chamber orchestra entstanden ist.

Das erste Stück ist die Sinfonietta op. 1 von Benjamin Britten und das zweite die Serenade Nr. 1 D-Dur op.11 von Johannes Brahms.  Zwischen den beiden Stücken erzählt Jason Denner ihre Entstehungsgeschichte. Das macht dem Zuhörer greifbar, was die Komponisten dabei gedacht haben mögen und durch die Art, wie das Ensemble spielt, kann man in die Welt der Komponisten eintauchen. Brittens Stück wirkt deutlich moderner als das von Brahms, er lebte ja auch einige Zeit später. Ganz neue Klänge, die dem ungeübten Hörer vielleicht etwas eigenartig herüberkommen, sind zu hören. Außerdem hat das Stück immer ein gewisses Drängen nach vorne, wodurch es sehr belebt und fröhlich wirkt. Brahms‘ Serenade wirkt etwas ruhiger, die Klänge sind vertrauter und die Töne gebundener. Aber das kann man auch nicht für das ganze Stück sagen, denn die unterschiedlichen Sätze unterscheiden sich auch in ihrem Charakter. Als Zugabe spielt das c/o chamber orchestra Brahms‘ Ungarischen Tanz Nr.5. Dieses lebendige und fröhliche Stück, von dem ich noch lange später einen Ohrwurm hatte, ist ein toller „Rausschmeißer“ nach einem schönen Abend.