Emotionaler Sprengstoff

Yuki Suzuki, 33 Jahre

Erinnerung, Angst, Dunkelheit, Verwahrlosung und Vereinsamung. Die erste Zusammenarbeit zwischen der finnischen Performance-Gruppe Oblivia und der chinesischen Komponistin Yiran Zhao widmet sich einem eher düsteren Themenfeld. In einem raffinierten Zusammenspiel aus Performance, Lichteffekten und elektronischer Musik verliert sich das Publikum in Raum- und Zeitlosigkeit. Zugleich weist das Werk allerlei Skurrilitäten auf, mit denen die drei KünstlerInnen der Gruppe Oblivia das Publikum schonungslos konfrontieren. Mit einer diebischen Freude wird eine Gratwanderung an der Grenze zum Schamhaften und Vulgären unternommen. Dabei wird körperliche Intimität mit einer fast schon offensiven Penetranz zur Schau gestellt. Als Zuschauender  schwankt man zwischen Befremden und Belustigung, peinlicher Berührung und  Beklemmung. Das Werk möchte jedoch nicht verschrecken, vielmehr steckt es voller kindlichem Witz. Das Publikum wird auch gerne mal augenzwinkernd auf die Schippe genommen und mit einem pseudo-philosophischen Spruch belehrt.

Immer wieder spielen Erinnerungen eine Rolle. Es sind Erinnerungen aus der Kindheit, die vage sind und immer mehr an Kontur verlieren, aber seltsam schmerzhaft nachhallen. Überhaupt zieht sich die kindliche Angst vor Nacht, Dunkelheit und Geistern wie ein Leitfaden durch das Stück. Mit dem Erwachsenwerden haben wir die Ängste zwar verdrängt, aber nicht beseitigt.  Verdrängte Erinnerung geistert in unseren Köpfen herum, um danach aufzutauchen und ihren Platz einzufordern. In Form von „Gespenstern“ sucht sie uns heim, vertreibt uns („Everybody, get out!“) und fordert ihre eigenen „ghost-busses“, „ghost-cities“ und „ghost-nations“. Yiran Zhao, Komponistin und Sound Designerin, kommentiert das Geschehen am Mischpult mit Live Elektronik, die mal irritiert, mal bedrohlich unter die Haut geht.

Im Zeitalter des Populismus und der sich einschleichenden „Kultur des Vergessens“ wird deutlich, was Verdrängung, übertragen auf gesellschaftliche Ebene, bedeutet. Wenn die drei PerformerInnen sich gegen Ende des Stückes in einem kollektiven Zitteranfall gegenseitig stimulieren, fragt man sich, worauf unsere Welt zusteuert.  Ist es panische Selbstvergewisserung auf körperlicher Ebene oder die Flucht in Reizüberflutung? Das Stück jedenfalls löst sich mit einem Kinderlied in stiller Einsamkeit auf.  Einigermaßen ratlos, aber nachdenklich wird der Zuschauende zurückgelassen. „Verdrängen, Verdrängen, Verdrängen“ ist ein Werk, welches dem Publikum emotional einiges abverlangt und sicherlich für gespaltene Meinungen und Ansichten sorgt. Mich persönlich spricht das Stück in ästhetischer Hinsicht nicht an, aber ich kann es wie einen kritischen Bericht lesen und mich identifizieren.