„Selbstreflexion in der neuen Musik ist ein Schimpfwort“

Alexandra Hoppe, 23 Jahre

Sänger, die Unterwasser singen, ein Komponist der zu komponieren hasst, eine Operette aus Emailkorrespondenzen; all diese Mosaikteilchen sind Bestandteil einer narrativen Erzählung von der Entstehung eines Musiktheaters, das sich mal so richtig in die Karten schauen lässt. Dass sie damit nur ein bestimmtes Musikpublikum ansprechen, ist dem Komponisten Malte Giesen und dem Regisseur Thomas Fiedler bewusst, erklären sie im Gespräch. „Selbstreflexion in der neuen Musik ist ein Schimpfwort“, sagt Malte Giesen.

Doch die Formel zu ihrem gelungenen Stück setzt sich aus einer Mischung aus Selbstironie, Mut zur Selbstreflexivität und einem Bild im Bild im Bild zusammen. Das eigene Schaffen und die große Herausforderung, sich [in] eigene Rahmenbedingungen zu setzen und dann von den Anfängen bis zum Making Of durchzugehen, ist die Intention des Stücks. Bis das „magische Ende“ mit Sekt, Jazzmusik und tosendem Applaus gefeiert werden kann, bedarf es erst einmal des richtigen Auftritts. Für die Musiker der Band heißt das also: klassisch von der Seite her kommend, sich beklatschen lassen, dann setzen. Die Sängerinnen und Sänger benötigen da schon drei Anläufe, bis der Komponist aus dem Off zufrieden ist. Die erste Klangfläche wird für den Zuschauer sichtbar durchdacht: Das Cello soll etwas Pontecelli-mäßiges am Steg machen, das Schlagzeug hin und wieder kleinere Impulse geben, die Klaviersaiten mit einer Kreditkarte malträtiert werden und der Gesang etwas Knäckebrotartiges hinzubröseln. Hier und da noch esoterisches Wabern und der musikalische Rahmen wäre gesetzt, liest man in den Übertiteln.

Viel Diskussion und Entscheidungsbedarf forderte die Unterwasserszene mit den Musikern. „Ich möchte ein Stück haben, wo die Stimmen unter Wasser singen“, beschreibt Malte Giesen seine Intention für das Stück in den ersten Minuten seines Einspielers. Später soll die Szene wieder herausgenommen werden. Doch der ästhetische Traum bekommt eine neue Chance durch eine einfache Metaphorik, die Malte Giesen per Videobotschaft aus dem Wald verlauten lässt: Wenn all der Druck und Stress zu groß wird, sollte man einfach mal die Umgebung wechseln, einfach mal abtauchen. Das Rein- und Rauskommen in und aus diversen Situationen sei die Kunst des Narrativs, erzählen die beiden Künstler. Charmant ist sie gelungen.

Die Frage ist, wie weit darf ich mich aus dem Fenster lehnen, ohne aus dem Rahmen zu fallen? Wie viel Framing ist zu viel Framing of framing of framing frames? Wie sehr darf man Selbstreferenz auf die Spitze treiben, ohne den Zuschauer am Ende zu beleidigen, dass er längst die wesentliche Thematik vergessen hat? Es geht schließlich auch um Intimität. Immer wieder wechseln sich die intimen Momente der Arbeit des Komponisten auf der Leinwand mit der Verkörperung dieser durch die Interpreten ab. Man gewinnt Eindruck und Abstand.

Die Zeitlichkeit wird durch das Zuspiel von visuellen Zuschnitten und Live-Darbietungen relativiert. Man ist Beobachter von Beobachtern, ein Bildbetrachter zweiter Ordnung. Überflutet von all den musikalischen, visuellen und verzerrten Bildern auf der Videoleinwand, den Fernsehbildschirmen und Lautsprechersequenzen, lässt man sich gerade von den reizdichten Momenten einfach nur berieseln. „You have to decide how to start and where to stop”, wiederholen die Neuen Vocalsolisten immer wieder.  Schwierig, bei einer so überladenen Welt einen Anfang und ein Ende auszumachen, aber noch viel schwieriger, dazwischen die Brücken zu schlagen. Der Grat zwischen Ertrinken und Abtauchen ist schmal.

Am Anfang ist man mitgerissen, spätestens ab der Unterwasserszene geht man trotz der Schönheit ein bisschen verloren. Das Thema neue Medien und der aktuelle gesellschaftliche Bezug werden zu spät angerissen, um sich befriedigend einzufügen. Insgesamt verlässt man den Saal beeindruckt, allerdings auch völlig überwältigt von all den wuselnden Spezial-Effekte, Voice-Over und Sprechakte die zum Ende hin gleichzeitig auf den Zuschauer einprasseln.