Erinnerung in Musik geschrieben

Chloe Grauer, 15 Jahre

Guy Braunstein spielt konzentriert seine Geige und ist fokussiert auf seine Noten. Die Klänge hallen durch die Alte Synagoge in Hechingen, die mich an Kinder erinnern, die von ihren Eltern getrennt werden. Hier probt der berühmte Violinist gemeinsam mit drei weiteren Musikern das Stück „Hannah“, eine Auftragskomposition seiner Frau Gili Schwarzman für das Klang-Labor 2025. Sie ist selbst eine bekannte Flötistin und komponiert auch. „Hannah“ ist eine Komposition für Klarinette, Geige, Bratsche und Cello. Zu hören sind lange, traurige Klänge, aber auch schnelle, dramatische Töne, die das Publikum mitnehmen in die Zeit des Holocausts.

Im Interview mit den Klang-Labor Reportern erzählt Gili Schwarzman, dass sie in dieses Stück die Erinnerungen ihrer Kindheit geschrieben hat, in Form von Musik. Gili war vier Jahre alt und ihre Oma holte sie jeden Tag vom Kindergarten ab. „Wir hatten ein schönes Ritual. Gemeinsam hörten wir Musik; tanzten und vor dem Mittagsschlaf erzählte sie mir Geschichten, die sie niemand anderem erzählt hat.“ Es waren Erinnerungen, über die sie als Holocaustüberlebende viele Jahre geschwiegen hatte. Die kleine Gili wurde damit zu einer Geheimnishüterin. „Ich konnte damals noch nicht begreifen, was meine Oma mir erzählte, wusste aber, dass es wichtig war und wollte es mir gut merken.“ Für ein besseres Verständnis versuchte sie sich die Geschichten als Film vorzustellen.

Als Gili älter wurde, merkte sie, dass die Erinnerungen sich in Musik verwandelt hatten. Immer besser verstand sie, was ihre Oma ihr damals erzählt hatte. Sie beschreibt, dass die schrecklichen Erinnerungen für sie nie etwas Greifbares waren, sondern immer eine Gefühlswelt. Diese Kopfgefühle fasste Gili in „Hannah“ zu einer Komposition zusammen. Überraschenderweise ist daran nichts Krachmachendes, sondern etwas Ruhiges und Harmonisches. Dieses Stück ist das erste, das Gili je komponiert hat. Dabei hatte sie das Gefühl, dass ihre Oma ihr beim Schreiben geholfen hat. Gili wollte die Erlebnisse ihrer Oma als Musik wiedergeben. Wie sie nicht nur von ihren Eltern getrennt wurde, sondern sogar dabei zusehen musste, wie diese umgebracht wurden. Durch die Musik ihrer Enkelin kann Gilis Großmutter Hannah der ganzen Welt mitteilen, was damals Schreckliches passiert ist.

Für die Voraufführung des Stücks am nächsten Tag suchen sich die Musiker ein ganz besonders Publikum aus. Die Weiherschule in Hechingen besuchen Schüler und Schülerinnen mit kognitiven Einschränkungen. Der Schulleiter Rainer Brandner erklärt: „Früher sagte man Behinderte, wir sagen Menschen mit besonderem Entwicklungsbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung und des Lernens.“ Im Foyer der Schule sind bunte Stühle in Reihen aufgestellt, auf denen die Schüler der Klassenstufen eins bis zwölf platznehmen. Vorne sitzen die kleineren Schülerinnen und Schülern und hinten die größeren. Ganz dicht vor dem Publikum nehmen die Musiker im Halbkreis Platz. Das sind wieder Guy Braunstein an der Geige, Adrien La Marca aus Paris an der Bratsche, der Klarinettist Raphaël Schenkel und der Cellist Zvi Plesser. Gili sitzt hinter den Musikern und hört ihnen wieder konzentriert zu.

Die Kinder sind begeistert und fasziniert von Gilis Stück. Ein Mädchen mit zwei braunen Zöpfen und einem grünen Pullover bewegte sich zu den Klängen. Als die Musik aufhört, beginnt sie zu weinen, doch sobald weiter gespielt wird, ist sie wieder unglaublich fokussiert. Das Werk, das aus den Erinnerungen von Gilis Oma entstanden ist, berührt die Herzen der Kinder.