„Ich stehe mit allen in Kontakt“

Klaudia Lagozinski, 28 Jahre

Im dunkelbraunen Nadelstreifenanzug dirigiert Komponist Enno Poppe das Eröffnungskonzert von ECLAT 2023. Doch was bedeutet Dirigieren für ihn und wie ist er dazu gekommen?

„Musik muss durch mich hindurchfließen. Das ist wichtiger als dass ich über jedes einzelne Glied meines Körpers ein Bewusstsein habe. Ich mache auf der Bühne nur Bewegungen, die sich gut anfühlen – das ist nicht alles technisch. Es geht nicht um den einzelnen Takt, sondern um den Prozess: Wo kommt etwas her, wo geht es hin? Wie entwickelt sich die Musik, wo öffnet sie sich, wo schließt sie sich? Darüber hinaus ist Kommunikation essenziell. Als Dirigent ist man nie allein, sondern interagiert mit Menschen auf der Bühne. Es gibt niemanden, den ich dabei verliere. Ich stehe mit allen in Blickkontakt, in Hörkontakt. Sie müssen spüren, dass ich immer mit ihnen bin. Kommunikation mit so vielen Menschen gleichzeitig aufrecht zu erhalten, bedarf Konzentration, ist aber unheimlich aufregend!

Auch die Körperbeherrschung beim Dirigieren zu erlernen, ist ein langer Prozess. Ich dirigiere schon dreißig Jahre. Mit elf habe ich im Radio ein Stück von Stockhausen gehört, fand das toll. In meiner Jugend spielte ich Klavier und komponierte. Für mich ist das Dirigieren als Ausgleich der eher einsamen Beschäftigung des Komponierens wichtig. Als Dirigent kann ich mit Menschen gemeinsam auszuprobieren. Dirigieren ist für mich eng mit Neuer Musik verknüpft, ein kreativer Prozess. Ich kann ja nicht alles selbst schreiben. Das Zusammenspiel von Komponisten und Dirigenten sehe ich als Forschungsarbeit – das interessiert mich.

Jeder Mensch hat Berührungspunkte mit Musik. Doch viele denken, man müsse alte Musik spielen. Ich verstehe das nicht. Auch im Kino schaut man sich neue Filme an und selten alte. Würden Kinos nur alte Filme spielen, könnten sie zumachen. Für mich als Musiker ist es selbstverständlich, neugierig zu sein und Fragen zu stellen.“