Kann Musik lustig sein? Gewitzt auf jeden Fall. Trond Reinholdtsen schafft es, mit seinem Werk Performing Precarity II den gesamten Konzertsaal in Gelächter zu versetzen. Kurz gesagt: So wie bei diesem Konzert geht das ECLAT-Festival-Publikum sonst nirgends ab.
Ermattet von den vielen intensiven Eindrücken der Konzerte eines ganzen Tages strömen die Zuschauerinnen und Zuschauer zu dieser letzten Show des Tages. Wer auch immer etwas erwartet hat, das, was hier geboten wird, ist unvorstellbar! Reinholdtsen provoziert. Das ist bereits im Voraus erkennbar, der Programmtext trieft nur so von ironischen, provokanten Formulierungen. Wer es schafft, aus einer Auflistung der Instrumente eine Parodie eines perfektionssüchtigen Ensembles zu erstellen, hat jedenfalls Humor und etwas mitzuteilen. Der provokante Charakter des Stückes ist ganz unmittelbar mit Betreten des Raums erfahrbar: Am Bühnenende sind monströse, viel zu helle Scheinwerfer aufgebaut, die eine Aufgabe haben. Nämlich das Publikum zu nerven. Trond Reinholdtsen ist Norweger, stellen Sie sich also einen Volvo in der verschneiten skandinavischen Winterdunkelheit vor, der mit Extra-Scheinwerfern das gesamte Umfeld ausleuchtet – und alle Entgegenkommenden blendet. Dieser Schmerz in den Augen lässt sich hier im mitteleuropäischen Stuttgart nun auch erfahren, eigentlich eine Abwechslung zu den Kopfschmerzen, die sonst ab und an bei diesem Festival der Neuen Musik auftreten.
Das Licht geht plötzlich aus, vereinzelte Handybildschirme leuchten noch, normalerweise geht das wesentlich gemächlicher zu. Jetzt ist es jedoch zappenduster, zudem ertönt ein lautes Rauschen, eine Lichtanimation vervollständigt die Assoziation einer Autobahn oder eines vorbeizischenden Zuges. Trotz der Dunkelheit lassen sich Nebelschwaden erkennen, die sich von der Bühne in den Konzertsaal ausbreiten, auf einmal scheint auch mein Bein zu qualmen. Nervöses Köpferecken im Publikum, was geschieht als Nächstes? Auf der Bühne lagen vorher Blätter, mit denen wird das Publikum doch jetzt aber nicht 4D-mäßig abgeschossen, oder? Es würde nicht sonderlich verwundern. Die Zuhörenden, die heute auch besonders achtsam zuzuschauen scheinen, werden berauscht von dem nicht wirklich abwechslungsreichen, aber auch gar nicht langweiligen Rauschen. Gerade damit abgefunden, dass das Konzert etwas anders ist als die anderen im Hause, ebbt das Geräusch plötzlich ab, es folgt ein Prasseln. Und so langsam ist die Bühne wieder leicht beleuchtet und gibt den Blick frei auf etwas Weißes, das im Nebel näherkommt. Das erweckt ein Gefühl wie in einem Horrorfilm – nur, dass kein schützender Bildschirm zwischen Geschehen und Zuschauendem ist. Doch bevor sich allgemeine Panik ausbreiten kann, legen die sich als zwei Gespenster entpuppenden Gestalten los: Wir haben keine Ideen. Diese und weitere Phrasen des verwunderlichen Programmtextes werden mit kindlich naiver Stimme vorgetragen (später auch noch gesungen – zum Wegschmeißen komisch!) und setzen einen wunderbaren Kontrapunkt zur gruseligen Atmosphäre – lautes Lachen ist die Reaktion des Publikums auf diese ikonische Ironie. Die Geister wirken so tief ernsthaft, während sie Sätze wie Keine weitere Perspektive. Keine emanzipatorischen Triebe. auf eine faszinierende Weise ins Lächerliche ziehen, ohne dass das erkennbare Absicht zu seins scheint. Dazu gilt auch anzumerken, dass der Akzent, mit dem diese in sich schon ironischen Standpunkte gesprochen werden, dem parodierenden Charakter noch die Kirsche obenauf setzt. Wir haben nichts Neues zu sagen. Trotzdem hören alle gespannt zu. Die Gespenster ziehen von dannen, der Volvo-Scheinwerfer ist zurück. Nun gehört die Bühne anderen skurrilen grau eingehüllten, gesichtslosen Figuren, deren Beschäftigung darin besteht, kurz Unsinn auf die Bühne zu bringen und dann wieder abzugehen. So werden Pauken über die Fläche gerollt, dreimal im Kreis gedreht und weitergeschoben, wobei die entstehenden Klänge bei aller Absurdität perfektioniert wirken.
Die zurückgekehrten Gespenster eröffnen einen instrumentaleren Teil der Performance, abwechselnd breitet je eines die Arme aus und fungiert als Leinwand, um chaotische Aufnahmen von der Entstehung noch chaotischer Klänge auf Klavier und Xylophon zu zeigen. Bereits diese Idee ist wieder ein Lacher und das Bild der beiden Musikerinnen Jennifer Torrence und Ellen Ugelvik, die wirken, wie im Proberaum allein gelassen und nun konkurrierend, wer den größeren Unsinn spielt, trägt auch dazu bei. Dass später auch noch ein Geist am Beamer hängen bleibt, passt wunderbar in das Geschehen: Die beste Fiktion der Musikgeschichte ist Struktur. Es folgt ein Gespenster-Schluchzen, das so übertrieben theatralisch dargestellt ist, dass es einfach zum Lachen bringt.
Die anderen Figuren sind zurück, diesmal haben sie neben Pauken auch einen Flügel dabei. Es entsteht ein Getümmel auf der Bühne, die Gespenster spielen mal eben zwischendurch noch ein paar Töne live auf den Instrumenten – während diese umhergedreht und -gerollt werden. Nach diesen Paukenschlägen wandelt sich die musikalische Darbietung, es drängt sich der Eindruck eines Flugzeuges, später eines schrillen Schreiens auf. Was auch immer dargestellt werden soll, es kling schmerzhaft. Die Gespenster werden von den anderen Figuren verlassen, ihr Rumgefuchtel wird nun zu einem suchenden Umherirren. Beim Flügel angelangt, knien sie sich nieder. Beim Aufstehen wird sich eines der beiden den Kopf stoßen – gescripted oder nicht – es passt. Nun wird der Flügeldeckel theatralisch geöffnet, fast wie ein Sarg. Und diese Vermutung soll sich bewahrheiten, eine großflächige Projektion zeigt ein verstümmeltes, leichenartiges Etwas am Klavier. Was könnte auf so einen düsteren Schock folgen? Stille und Licht, wie naheliegend. Der Lichtkegel beleuchtet die Gespenster, die wie versteinert dastehen. Und stehen bleiben. Was nun? Selbst der Kameramann scheint verwirrt nach einem Motiv zu suchen, nervöses Lachen füllt die für das sensationsgedrängte Publikum unangenehme Stille. Keine Regung. Applaus? Zaghaft einsetzend, fallen immer mehr mit ein und siehe da, dieses Lob ist die Lösung, die Gespenster verbeugen sich, der Komponist erscheint zufrieden zum begeisterten Schlussapplaus.