Tödliche künstlerische Radikalität

Sophie-Caroline Danner, 25 Jahre

Grell helles LED-Licht blendet alle Zuschauer, als sie den Raum betreten. Hinschauen tut weh. Wir fürchten schon, dass das die ganze Performance so bleibt, denn beim Komponisten Trond Reinholdsten weiß man nie so genau, was da auf einen zukommt.

Schlagartig fallen Bühne und Saal in tiefe Dunkelheit. Aus den Lautsprechern klingen Rauschen, Zischen, Brodeln. Wasser. Es wird immer lauter und drängender. Als sich die malträtierten Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen, ist zu erahnen, wie eine leistungsstarke Nebelmaschine beginnt, die leere Bühne zu fluten. Der Nebel durchdringt die vierte Wand und wabert ins Publikum. Nun rieche ich sie auch, die dicke Luft, die das Atmen erschwert. Dazu tiefe Frequenzen, die durch meinen ganzen Körper, besonders zwischen den Rippen pulsieren und vibrieren. Ein letztes Aufbrausen der Lautsprecher, dann der erwartete Abbruch. Leises Plätschern. Ich gewöhne mich an diesen Zustand, der alle Sinne betäubt.

Trond Reinholdtsen spielt nicht nur mit körperlichen, sondern auch geistigen Sinnen, wenn er nun durch die Nebelbrühe einen einzelnen Scheinwerfer rechts von der Bühne langsam aufleuchten lässt. Zunächst glaube ich, es ist eine einzige Gestalt, die sich da von links auf das Licht zuschiebt. Ihre Bewegungen ähneln eher kleinen Tapsern. Erst als die Figur abbiegt und in Richtung Bühnenmitte tippelt, merke ich, dass es sich in Wirklichkeit um zwei Wesen handelt. Als Menschen sind sie nicht zu erkennen, denn sie sind komplett in weiße Laken gehüllt. Geister! Gemeinsam sprechen sie wie in Trance: „Wir haben keine Ideen. Wir haben keine Visionen.“ Das Publikum reagiert mit unterdrücktem Kichern. Die Geister tippeln weiter auf der Bühne herum. „Keine weiteren Perspektiven. Keine emanzipatorischen Triebe.“ Das Publikum muss sich wirklich zusammenreißen, aber gleichzeitig bleibt mir das Lachen im Hals stecken. Trond Reinholdtsen lässt hier die Geister der Neuen Musik sprechen, denen die Ideen ausgehen und ich muss ihnen zustimmen. Die letzten Tage beim ECLAT Festival für Neue Musik habe ich wenig wirklich Neues gehört. Vielleicht neue Zusammenstellung bekannter Mittel, nur die „Performing Precarity“-Vorstellungen dieses Abends bilden die Ausnahme.

Reinholdtsen textet das Requiem der Neuen Musik, vorgetragen von zwei Geistern. Absurd? Absurd. Aber im besten Sinne und entweder das anwesende Fachpublikum versteht es nicht oder es versucht, es wegzukichern, zu überspielen, nicht ernstnehmen zu müssen. Ich nehme die komische Szene, die sich mit großem Pathos bietet, sehr ernst.Nun erklärt sich auch der kryptische Text im Programmheft, denn die Geister sprechen ihn: „Natur ist langweilig. Kultur ist langweilig. Wir haben nichts Neues zu sagen. Wir stimmen nur zu der allgemeinen Meinung zu. Alles Künstlerische ist zu gefährlich. Alles Künstlerische ist zu precarious für heutiges Konzertleben. Paralyse ist die einzige Position.“ Mit diesen Sätzen bringt der Komponist die Message seines einstündigen Werks auf den Punkt. Wer überleben will, muss mit dem Strom schwimmen. Wirklich Neues, Künstlerisches traut man sich besser nicht, wenn man im Konzertbetrieb unterkommen möchte.

 „Dies ist kein Theater. Dies ist kein Musiktheater. Wir suchen nur strukturelles Hören.“ Denn Struktur sei die beste Fiktion der Musikgeschichte, sagen die Geister. Sie finden es in Form von Videoaufnahmen eines anderen Werkes, die sie sich abwechselnd auf die Laken strahlen und so zur Projektionsfläche für Erinnerungen werdenGeister, die dem strukturellen Hören der (Neuen) Musik nachtrauern. Ich glaube, eine Retrospektive der Zukunft erlebt zu haben. Reinholdtsen schafft etwas prekär Künstlerisches, das irritiert, fasziniert und inspiriert.