Nicht klingen wie sie selbst

Ulrich Wiederspahn, 23 Jahre

Röcheln, singen, husten, gähnen, Luft schnappen, pfeifen, pusten, Luft anhalten. Acht Arten zu atmen sind das, und genau so hat Benjamin Scheuer hat seine Kompositionen für Klarinette, Akkordeon und Elektronik genannt, Acht Arten zu atmen. Die Auflistung zu Beginn soll die klanglichen Assoziationen verdeutlichen, mit denen Scheuer in diesem Stück experimentiert.

Der in Hamburg lebende Komponist arbeitet bevorzugt mit Imitationen, erzählt er nach der Probe, mit „tönenden Fundstücken“. Seine Werke entstehenin einem durchgeplanten Prozess. Zunächst sammelt er Geräusche oder singt verschiedene musikalische Einfälle einfach ein. Diese verfremdet er mithilfe seines Computers und erstellt daraus zunächst scheinbar unmögliche Aufgaben für Instrumentalisten: „Wie kann man eine Glocke mit einem Akkordeon nachmachen?“, zum Beispiel. Scheuer verabredet sich mit jedem Instrumentalisten einzeln, diese Ideen und eine Planskizze des zu komponierenden Werkes im Gepäck. Er nimmt Improvisationen der Musiker auf und im Austausch entstehen dann weitere Einfälle. „Kilian Herold bekommt zum Teil sehr spannende Töne aus seinem Instrument, die vielleicht nicht jeder Klarinettist so erzeugen kann. Diese Klänge sind vor allem Sachen, die man sich so zu Hause am Schreibtisch nicht vorstellen kann, dazu braucht man die Zusammenarbeit.“ Wenn Scheuer alles Impro-Sessions aufgezeichnet hat, transkribiert er die Stellen, die ihm gefallen und hält sie in einer Partitur fest, oft sogar mit einem abgespeicherten Soundfile. So sehr er die Improvisation seiner Kollegen schätzt – in seiner auskomponierten Partitur legt er alles genau fest.

Acht Arten zu atmen entstand 2020 in Zusammenarbeit mit dem Klarinettisten Kilian Herold und dem Akkordeonisten Teodoro Anzellotti. Beide spielen das Stück seit der Uraufführung immer wieder. Gerade weil der Druck in der Szene hoch ist, immer neue Uraufführungen zu spielen, wirken beide Musiker glücklich, Acht Arten zu atmen wieder in ihrem Repertoire zu haben. Teodoro Anzellotti erklärt nach dem Konzert: „Man geht mit dem Stück freier um, weil man nicht mehr an die Koordination denken muss, sondern man hat den Rhythmus und die Dynamik im Körper. Man wird auch spielerischer und spontaner.“ Das ist vor allem deshalb möglich, weil die Komposition „maßgeschneidert“ für die beiden ist. Herold sagt dazu: „Wir waren in den Entstehungsprozess eingebunden. Das heißt, die Klänge haben wir von Anfang an gemeinsam gesucht. Sie sind natürlich anders als bei Mozart oder Reger, aber sie sind mir nahe.“

Trotz der Routine brauchen die Musiker volle Konzentration, denn das Stück verlangt eine große Bandbreite an Klangfarben. Die Klarinette klingt mal wie ein röhrender Hirsch, eine Quietscheente, manchmal scheint sie sogar zu röcheln. Häufig verschmilzt das Akkordeon mit den Samples zu einer undurchsichtigen Masse, ab und zu tritt es hervor. Wenn er viele Tasten in der hohen Lage gleichzeitig drückt, entstehen Cluster – mit geschlossenen Augen ist man ratlos, welches Instrument gerade zu hören ist. Unerwartete Geräusche der Klarinette, plötzliche Pfeifeinlagen vom Band und ein Sitzplatzwechsel der Musiker liefern dezent platzierten Humor. Das ist Scheuer wichtig: „Mein Ansatz ist, dass man Klänge nimmt, die einen ein bisschen zum Lachen bringen oder die einfach absurd sind. Aber es soll eine ernste Angelegenheit bleiben und nicht in Klamauk überschlagen.“

Aber auch die Gestaltung spielt eine Rolle, sagt Anzellotti: „Großer Atem ist wichtig, kleiner Atem langweilt das Publikum. Wir müssen schauen, dass wir trotz der vielen komplizierten Kleinigkeiten Bögen schaffen und atmen. Das erzeugt Spannung, auch den Atem des Publikums muss man mitmanipulieren. Das Atmen hat auch mit Spannung zu tun, bei der Klarinette sieht man das ganz extrem, wie der Körper bei bestimmten Längen Spannung hat und wieder loslässt.“ Wie man mit Musik Geschichten erzählen könne, habe ihn schon immer fasziniert, ergänzt Scheuer. Aber genau dieser narrative Strang hat sich mir persönlich im Konzert nicht erschlossen. Ich konnte die Nuancen der Stimmungsschwankungen nicht greifen, sie waren wie durch einen Vorhang gedämpft. Spielerisch beeindruckend war die Performance trotzdem. Es ist faszinierend zu hören, wenn Instrumente nicht mehr klingen wie sie selbst.