Die eine Musik erzählt vom Verlauf des Tages als Naturerlebnis – die andere führt in mythologische Welten: Georg Philipp Telemann und Jean-Philippe Rameau waren Zeitgenossen, doch sie dachten Musik aus sehr verschiedenen Perspektiven. Telemann feierte in seinen Kantatenzyklus Die Tageszeiten die Schönheit der Natur als Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber der Schöpfung. Für den Morgen verwendet er die Stimme des Soprans, und die des Basses für die Nacht. Rameau dagegen nutzt in Arien aus seinen Opern die Tageszeiten als Metaphern für den Gefühlszustand seiner Helden. Das kann sich doch befruchten, fand der Tenor und Ensembleleiter Reinoud van Mechelen.
In der Friedenskirche Sanssouci kamen beide Klangwelten in einem Konzert zusammen, das von dem Belgier konzipiert und geleitet wurde. Er wandte sich immer wieder zum Publikum, um selbst die Tenorpartien zu übernehmen – während er mit kleinen Armbewegungen gleichzeitig sein Ensemble a nocte temporis anleitete. Dieses gründete er 2016 mit dem Ziel, vergessene barocke Werke durch historisch informierte Aufführungspraxis wieder hörbar zu machen. Als heller Morgen sprang kurzfristig Anne-Sophie Petit ein, die Mezzosopranistin Emilie Renard verkörperte leuchtend den Mittag, Reinoud van Mechelen gestaltete einen sanften Abend, und Damien Pass ließ mit seiner Stimme die tiefe Nacht erklingen. Die Musik von Telemann und Rameau fügte sich erstaunlich gut zusammen. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Prägung verbinden sie aus heutiger Sicht barocke Klangwelten und Instrumente ihrer Zeit, erfuhren wir beim Interview auf unserer Picknickdecke.
Rameau und Telemann waren ja Zeitgenossen, aber haben ja schon unterschiedliche Musik geschrieben. Wie passen die denn zusammen?
Das stimmt, sie sind Zeitgenossen und sehr unterschiedlich. Aber jemand wie Telemann hat schon selber sehr unterschiedliche Musik geschrieben. Wir haben hier ein Stück, das sehr spät geschrieben ist, in den 1750er-Jahren, da war er schon recht betagt. Telemann hat so viel geschrieben, dass ich nicht alles super finde. Ich glaube, Telemann alleine hat mehr geschrieben als Bach und Händel zusammen! Aber diese Tageszeiten sind schon ein sehr tolles Stück. Wir wissen, dass Telemann natürlich auch französische Musik geschrieben hat. Die Pariser Quartette gibt es, und auch französische Arien. Es gibt also einen Link von Frankreich zu Telemann. Von Telemann zu Rameau dagegen weniger, Telemann war in Paris, es ist möglich, dass sie einander gesehen haben, aber das ist total unsicher. Bei Rameau findet man nicht so viele unterschiedliche Stile, man kennt eigentlich zwei Rameaus. Er hat seine erste Oper geschrieben, als er schon 49 war, was natürlich im 18. Jahrhundert sehr alt war. Er ist sogar über 80 geworden und noch sehr viele Opern geschrieben, aber bis dahin hatte er nur Cembalomusik und einige Grand Motets geschrieben. Und selbst bei den Grand Motets ist man nicht ganz sicher. Sehr viele theoretische Abhandlungen hat er aber geschrieben, er war ein Theoretikus. Glücklicherweise ist er nicht nur Theoretikus geblieben. Die beiden Komponisten sind also sehr unterschiedlich, aber sie passen mit dem Instrumentarium und einigen Effekten, finde ich, gut zusammen, und sind gleichzeitig klar erkennbar.
Also der Kontrast ist auch Teil des Programms?
Ja, der Kontrast ist eine tolle Idee. Wir haben immer die Kantate von Telemann und dann fangen wir gerade an mit dem Rameau und dann ist so ein Schock, aber doch dieselbe Thematik und so, das ist das Tolle, ist es unterschiedlich, aber es geht doch zusammen.
Weiß man, was die beiden voneinander gehalten haben?
Ich glaube, Telemann liebte Rameau, diese Quatuor Parisien, die klingen sehr danach. Ich meine, Telemann hat auch das Concert pour Classins en Concert, ob Ramon über Telemann etwas gesagt hat, da bin ich mir nicht sicher, aber Telemann liebte Rameau.
Mussten Sie irgendwelche Anpassungen machen, damit Ihr Orchester in der Friedenskirche gut klingt?
Das soll man immer machen.Wenn wir in einem Konzertgebäude sind, in einem Konzerthaus, ist das total anders. Wir können aber auch nicht alles verändern mit unseren Originalklanginstrumenten. Ich habe hier ein ziemlich kleines Ensemble, weil das war für die Größe des Podiums anders nicht möglich war, mehr Leute zu haben. Und natürlich gibt es immer die Frage des Budgets, was für uns mit Freelance-Musiker immer schwierig ist. Wie sollen wir die alle bezahlen? Wie sind kein festes Orchester, das immer zusammengeht. Aber ich glaube doch, wir haben eine tolle Gruppe Leute für diese Musik.
Haben Sie die Komponisten ausgewählt oder hat Frau Oberlinger das „angeordnet“?
Nein, das war eine Idee, die ich schon lange hatte, dieses Programm zu machen. Ich meine, das Programm Telemann war schon fertig, die Tageszeiten, aber was ich dann mit Rameau gemacht habe, das war eine ziemlich große Arbeit, interessant und schwierig. Denn ich kenne Rameaus Werk ziemlich gut, aber man sollte dann doch alles wieder, finde ich, anschauen und suchen: Wo kann ich Sachen finden, die mit der Thematik von Morgen, Mittag, Abend oder Nacht zusammengehen. Das habe ich alles selber gemacht. Und Idee und Konzept, das war komplett meins. Darüber habe ich dann schon vor zwei Jahren mit Dorothee Oberlinger gesprochen und dann haben wir diese Daten gefunden und das ist toll. Sowieso, eine Musikerin, die ein Festival leitet, die versteht auch die Kreativität anderer. Ich finde das toll, dass so etwas passiert.
Wie passt Ihr Programm mit dem Festivalthema Grand Tour zusammen?
Für mich ist dieser Abend ganz klar eine Reise. Wir sprechen jetzt nicht über die Reise von Telemann, dem Komponisten, sondern von einer Reise für das Publikum. Wo ist etwas anders und wo gleicht es sich? Wie gesagt, Telemann hatte auch sehr viele französische Elemente in seiner Musik. Rameau ist ziemlich reich in seinem Instrumentarium, und in diesem Stück hat Telemann einem Solo-Instrument einen Platz gegeben, das unüblich war bei ihm, dem Fagott. Hier kann man wirklich denken, dass Telemann unter dem Einfluss von Rameau geschrieben hat, denn Rameau hat dem Fagotte in vielen Arien eine große, sehr schöne Rolle gegeben. Wir erleben hier keine Grand Tour für junge Musiker, aber Telemann ist viel gereist, hat viel Einfluss gehabt und Rameau als Theoretiker hat auch sehr viel Musik von überall her gehört. Rameau ist natürlich französische Musik, sehr französisch, aber doch sehr Rameau. Wie Bach ist Barockmusik, der immer erkennbar ist, war es in Frankreich auch so mit Rameau.