Maskenspiel

Sophie-Caroline Danner, 23 Jahre

warum
warum kann
warum kann der lebendige Geist
dem Geist nicht erscheinen
spricht die Seele
so spricht schon die Seele
nicht mehr

Mit dieser Variation eines Schiller-Gedichts beginnt die Uraufführung von „Persona“. Ein Werk, in dem es um Identitätsverlust und -findung durch die Stimme gehen soll, wie der Komponist im Interview sagt. Das Publikum sieht erst zwei Lichtkegel auf der Bühne. Im einen steht auf einem Podest die Tabla – ein traditionelles indisches Instrument, bestehend aus zwei Trommeln – im anderen Stuhl und Notenständer. Stefan Keller betritt die Bühne gemeinsam mit dem Bass Andreas Fischer. Keller zieht die schicken Schuhe aus, setzt sich sockig im Schneidersitz hinter die Tabla. Fischer wirkt in sich ruhend, während er seinen Platz im rechten Lichtkegel einnimmt, und gleichzeitig füllt seine Präsenz den mittelgroßen, dunklen Raum. Das Konzert beginnt.

Der Bass spricht zu den Klängen der Tabla. Im Laufe des Abends zerfällt die Sprache, löst sich in ihre Bestandteile auf: Vokale und Konsonanten. Vokale stehen fürs Singen, Konsonanten fürs Sprechen. Zwei Bereiche, die separat, aber auch gemeinsam existieren können. Diese Aufteilung kommt von Kellers Theorie zu den Tabla-Klängen, die etliche Spielmöglichkeiten bieten. So gibt es einerseits lange nachklingende Töne, sie gleichen melodiösem Singen. Kurze Schläge verhallen dagegen schnell, erinnern an die Konsonanten der Sprache. Tabla und Stimme heben an zum gemeinsamen Singen. Das äußert sich in vorwiegend langen Tönen der Tabla, kombiniert mit mäandernden Melodieverläufen von Vokalen. Andreas Fischer bewegt die Tonhöhen in langen und ruhig fließenden Glissandi nach oben und unten. Inspiriert ist die Singstimme von indischer Gesangskultur, auch wenn es letztendlich mehr nach europäischer neuer Musik klingt.

Noch immer ruht der Sänger in sich, während er mit den anderen Klängen in einen Dialog tritt und sorgfältig in das Mikrofon singt, das er nah am Mund hält. Auch die Tabla wird von Mikrofonen verstärkt und durch Live-Elektronik „maskiert“, die von einem Programm gesteuert wird. Es reagiert auf vorprogrammierte Töne der Tabla, gelegentlich auch der weniger exakt festgelegten Gesangsstimme. Auf interessante Weise werden die Tonsignale verändert: verfremdet, verzerrt und belegt mit Filtern und Echoeffekten ertönen sie aus acht Lautsprechern. Neben der maskierenden Rolle fungiert die Live-Elektronik auch als Gemeinsamkeit zwischen beiden Musikern, sozusagen als Vermittler. Klänge verschmelzen zu einem, trennen sich wieder auf, um sich aufs Neue ineinander zu mischen. Dies geht zum Teil so weit, dass nicht mehr eindeutig zuzuordnen ist, woher der Klang kommt, den man hört. Die Elektronik wirkt zu keinem Zeitpunkt plump aufgesetzt oder rein um der „Moderne“ Willen. Vielmehr hat die Elektronik eine entscheidende Bedeutung für das Stück.

Während Fischer im ersten Abschnitt nur Vokale singt, wechselt er im zweiten zu rein perkussiven Lauten. Die vereinzelten Konsonanten folgen immer dichter aufeinander, auch die Tabla wird schneller, bis Fischer in einen Rhythmus gipfelt, der in seiner Gleichmäßigkeit nach Beatboxen klingt. Die Tabla steigert sich in ein Solo, das an Dance- und Technomusik erinnert, um dann wieder mit der Stimme zu verschmelzen. Im dritten Teil werden Konsonanten und Vokale vermischt, jedoch ohne sinnvollen Text. Das Klangkollektiv wirkt jetzt wie eine fremde Sprache, die aus Stimme, Tabla und Elektronik gemeinsam entsteht.

Dass die Sprache prinzipiell gar nicht so fremd war, verrät Stefan Keller später. Es handle sich dabei um einen rückwärts gesprochenen Text Kafkas, der auf komplexe Weise mit dem ersten Schiller-Text zusammenhänge. Das ist allerdings schwer nachzuvollziehen, es sei denn, man ist gut im Rückwärtshören. Auch ohne diese Zusatzebene ist die Klangwelt faszinierend.  Die Beweglichkeit der Instrumente sowie der musikalischen Form und Struktur ziehen das Publikum in ihren Bann. Gespannt lauschen und verfolgen alle, was da passiert. Stefan Kellers Uraufführung klingt fremd, aber vertraut, meditativ introvertiert und mit großer Präsenz nach außen gewandt. Wiedersprüche, die auf einmal zusammenpassen.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich Live-Elektronik in Verbindung mit Instrument und Stimme so bewegen, begeistern und fesseln kann. Ich bin auf die Musik konzentriert und zugleich ruhe ich in mir.