Vor der Klangprobe bin ich gespannt, was für Musik mich wohl erwarten wird. Ob es ein klassisches Konzert für Cello und Gesang wird? Romantische Texte mit gefühlvollen Cellomelodien als Begleitung? Eigentlich ist mir bereits vor der ersten Klangprobe klar, dass dieses Bild wohl kaum zutreffen wird. Denn das lässt mich der abstrakte Name „Klangräume“ bereits ahnen. Als sich Chloé Lévy auf den Boden setzt und Marcus Hagemann hinter seinem Cello Platz nimmt, beginnen ungewöhnliche, aber einem doch bekannt vorkommende Klänge den Raum auszufüllen. Denn Chloé Lévy bedient ein Instrument mit dem verwunderlichen Namen “Shruti-Box“. So unbekannt mir der Name vorkommt, sind mir die Klänge die aus der Holzschatulle mit Reglern daran doch vertraut. Ein monotones, obertonreiches, summendes Geräusch dringt an mein Ohr.
Da in meiner Vorstellung immer noch das Bild eines klassischen Konzertes schwebt, überrumpeln mich die modernen Klänge dieses ersten Stückes. Denn auf diese mir fremde Kombination von Stimme, Cello und Raum war ich nicht eingestellt. Chloé Lévy und Marcus Hagemann arbeiten mit der Akustik der Kapelle und verbinden den Raum und ihre Klänge zu einer homogenen Gesamtatmosphäre. Das erste Stück mit dem Titel „This is the Place“, wie auch das erste Album der beiden heißt, sowie das gesamte Konzert empfinde ich als sehr sphärisch und melancholisch, teilweise auch bedrückend aufgrund der düsteren Klänge und Harmonien. Später stellt sich heraus, dass dieses Stück am Anfang und am Ende gespielt wird, jedoch leicht variiert. Fließend gehen die beiden Musiker von diesem ersten Titel in das zweite Stück über, sodass ich diesen Wechsel kaum wahrnehme. Auch dieses ist dominiert von den etwas düsteren Klängen. Es ist ihre Interpretation eines Musikwerkes von Hildegard von Bingen. Sie verbinden moderne Harmonien mit mittelalterlicher Musik! Eine Kombination, die auf den ersten Blick unpassend wirken mag, jedoch sehr gut zusammenpasst.
Anschließend spielen sie für uns ihre Bearbeitung des „Liedes der Ophelia, Seven Romances no.1“ von Dimitri Schostakowitsch. Dieses Stück klingt sehr getrieben und sorgt direkt für eine innere Angespanntheit, als ob mir jemand im Nacken sitzen würde. In diesem Rahmen empfinde ich das jedoch als angenehm, da die beiden eine ausgewogene Balance zwischen Tempi und Dynamik verfolgen. Es gelingt ihnen durch dieses Stück, mich dem Alltag zu entführen, wobei ich mich ganz auf ihre Musik und die entstehenden, oft tristen, mich nachdenklich machenden Bildern einlassen kann. Das letzte Stück, dass sie uns in der Probe präsentieren, ist eine Bearbeitung des Liedes „Will you be there“ von Michael Jackson. Sehr spannend finde ich diese Umsetzung, aufgrund des großen Kontrastes zur Stimme des “King of Pop“. Im Gespräch nach der Klangprobe fällt mir sofort auf, dass alle Stücke diese düstere Grundstimmung haben. Mir stellt sich die Frage, ob im Konzert auch eine andere Stimmung zutage treten wird. Doch bereits nach wenigen Minuten des Konzertes wird mir klar, dass zu diesem Raum, dieser Zeit keine anderen Klänge passen. Das gesamte Konzert über herrscht in meinem Körper und Geist eine Unruhe, die mich auch nach dem Konzert nachdenklich stimmt.
Das Gehörte muss erst einmal sacken und von mir verarbeitet werden. Vielleicht mag das abschreckend klingen. Doch ich empfinde es definitiv nicht als unangenehm, sondern als eine Bereicherung. Zudem ist es faszinierend, wie Chloé Lévy und Marcus Hagemann mit durchdringenden und teils experimentellen Klängen, die mich in unterschiedlichste Situationen versetzen, arbeiten. Es ist bewundernswert, mit welcher Inbrunst und Vielfalt sie den Raum ausfüllen können, und regelrecht mit ihrer Musik verschmelzen. Marcus Hagemann berichtet uns, wie wichtig das Zusammenspiel von Raum, Zeit und Ort ist. Zu beobachten und zu hören, wie durchdacht die Beiden die Töne platzieren, um dieses Zusammenspiel der Faktoren zu gewährleisten, macht das Konzert für den Hörer zu einem besonderen Erlebnis. Für mich ist die Reise in eine mir völlig neue Klangwelt eine besondere Erfahrung, da mir die Beiden mir zeigen, dass Musik nicht ein steifes Spielen vom Notenbuch ist, sondern ein interaktiver Prozess, in dem viele Faktoren die Musik aktiv mitgestalten.