Über Freiheit, Gesellschaft, klassische Musik und nur mit Wasser kochen

Balthasar Frick und Benjamin Grothe, 18 Jahre

Marcus Hagemann ist Cellist und lebt in Berlin. Gemeinsam mit befreundeten klassischen Musikern veranstaltet er die Konzertreihe TRIALOG-Concerts. Zum zweiten Konzert in diesem Jahr, am 14. September 2019 in Allensbach, führten wir, nach einem kurzen Einblick in die Probe der fünf Kammermusiker, ein Interview mit Marcus Hagemann.

In der Probe waren wir davon beeindruckt, wie frei die Musiker die Stücke interpretieren. Dies geschieht unter wilden Diskussionen nach jedem Satz. Wie im Rausch spielen die Musiker zuerst drauf los und beraten sich anschließend über Lautstärke, Tempo, die Rolle jedes einzelnen Instruments zu verschiedenen Zeitpunkten im Stück und so weiter. Dazu äußert der Cellist: „Für mich ist das wichtigste am Musikmachen, dass man immer auf sein Herz und seine innere Stimme hört, dass man sich Freiheit nimmt.“ Dieser Satz beschreibt nicht nur seine Art, klassische Musik zu interpretieren, sondern auch seine eigene Philosophie. Es ist ihm wichtig, so frei und intuitiv wie möglich zu bleiben, sowohl beim Musizieren als auch in allen anderen Dingen. „Wir wandern oft vom Bauch in den Kopf im Leben“ sagt er. Wieso es also nicht mal andersrum machen: „Kinder überlegen beim Musizieren nicht, sondern sie tun es einfach.“ Dass wir wieder mehr wie Kinder werden sollten, hat ja auch schon Jesus gesagt – scheint also was dran zu sein.

Als junger Musiker hat man es jedoch manchmal schwer, in der klassischen Musik Fuß zu fassen. Wie fast überall herrschen auch hier oft Hierarchien vor. Diese versucht Hagemann durch das Trialog-Projekt aufzubrechen. „Ich habe das meiste gelernt, indem ich mit tollen Leuten zusammen spielen durfte, die viel älter waren, die ihre Karriere schon hatten und die mich mitgenommen haben“, sagt Hagemann und ergänzt: „Bei einem Projekt wie diesem würde nicht jeder [etablierte Musiker] mitmachen. Vielleicht auch aus der Angst heraus, es könnte ein jüngerer Musiker daherkommen und viel toller spielen.“

Gerade in einer Gesellschaft wie der heutigen, in welcher sich scheinbar alles um Leistung und die Ausführung von Anweisungen dreht, ist es umso wichtiger aufzustehen, sich zu individualisieren und auf sein Herz zu hören. „Wir alle kochen nur mit Wasser.“ Genau deshalb ermutigt Marcus Hagemann auch junge Musiker dazu, sich zu entfalten, auf sich selbst zu vertrauen und kreativ und frei zu sein, ohne dabei auf irgendwelche Hierarchien zu achten. Dies fordert er sogar, sowohl von der klassischen Musik als auch von der Gesellschaft. Wir schweifen im Interview ab und sprechen über aktuelle Weltpolitik, die türkische Regierung und die Demonstrationen in Hongkong. Marcus Hagemann sieht in der Tyrannei auch eine Chance für die Bürger, sich gegen die Machthaber zu erheben und so Veränderung zu schaffen. Die Freiheit ist das wichtigste Gut des Menschen, da sind wir uns einig, für sie lohnt es sich aufzustehen, sowohl in der klassischen Musik als auch in jedem anderen Bereich des Lebens.