Music and Speech

Berta Weidental, 31 Jahre

Tolerance Stacks II ist eine Komposition, die eine Geschichte erzählt. Eine Gegenüberstellung von Mechanik und Musik mit all ihren unterschiedlichen Klangwelten und Sprachen im Versuch, sich aufeinander einzustellen und zusammenzufinden.

Die Maschinen, repräsentiert von Synthesizern und Turntables, geraten mit den Instrumenten des Ensembles Musikfabrik in Konflikt. Mit der Entwicklung von Maschinen sind Ängste und Unsicherheiten verbunden. Diese übergreifenden Ängste sind in der Komposition besonders hörbar. Vergangenheit wird von Zukunft und technischem Fortschritt bedroht und abgelöst. Beide Seiten bringen schrille Töne hervor, Scratching an den Turntables und übersteuerte Synthesizer-Sounds treffen auf schreiende langgezogene Töne von Streichinstrumenten in hoher Frequenz und ein donnerndes Schlagzeug. Aus diesem Aneinanderreiben entwickeln sich aggressive Geräuschkulissen. Dazwischen gibt es immer wieder unsicheres Verstummen und vorsichtige Annährungsversuche bei denen zaghafte Zupfgeräusche mit leise fiepsenden Synthesizergeräuschen erwidert werden.  

Zu hören sind dabei vor allem die Stimme von Juliette Frazier, die fast schon schreit „I am afraid of things“ im Dialog mit immer lauter und schriller werdenden Synthesizerklängen und ein Orchester das in Konkurrenz spielt mit Generatorengeräuschen von einer historischen Schallplattenaufnahme.  Maschinen klingen immer mehr wie das Orchester und Orchestermusiker versuchen Maschinen nachzuahmen, bis sie sich gegenseitig imitieren und eine Grenzüberschreitung stattfindet. Man fragt sich, welche Geräusche von Synthesizern und Turntables produziert werden und welche von den klassischen Instrumenten des Orchesters.

Im Zentrum steht der Phonograph als ultimative Maschine und einfacher Weg, Musik und Stimme aufzuzeichnen und wieder erfahrbar zu machen. Eine Brücke zwischen Zukunft und Vergangenheit. Die Phonographenaufnahme, gespielt von der Turntablistin Hannah Weinrich, verkörpert sowohl Sprache als auch Musik. Holt die Stimme von Thomas Edison aus der Vergangenheit heran, spricht aber gleichzeitig eine eigene Sprache der Mechanik und des Fortschritts.

Vor allem die Kommunikation zwischen Stimme und Turntables trägt den Zuschauer durch das Stück. Die Stimme der Sängerin wird dabei immer mechanischer, fast roboterhaft und redet sich immer mehr über mechanische Mechanismen in den Wahnsinn, während die Stimme der Maschinen über die Schallplatte immer menschlicher wird.

Gegensätze und Grenzen zwischen Zukunft und Vergangenheit, Musik und Mechanik sowie Mensch und Maschine werden thematisiert, zugespitzt und aufgehoben. Dabei kommen spannende philosophische Fragen auf: Können Maschinen musikalisch sein? Und wie kann man umgekehrt durch Instrumente Maschinen nachahmen? Ist Musik von Maschinen nur relevant, wenn sie so klingt wie ein Orchester oder ist es umgekehrt, und Musik ist nur noch relevant, wenn sie sich immer maschineller anhört?

Nachdem beide Klangwelten aufeinander zugegangen und zusammengeprallt sind, sowie sich ineinander verschlungen und wieder voneinander gelöst haben, gelingt am Schluss zum ersten Mal ein Zusammenspiel. Ein wirkliches Ineinandergreifen und Zusammenpassen von unterschiedlichen Musiksprachen. Dabei entsteht der lang ersehnte und von der Komponistin angestrebte Graubereich in dem sich eine Balance zwischen Mechanik und Musik ergibt. Mir kommt es fast vor, als hätte ich die Geburt der neuen Musik miterlebt.