„Orlando generoso“ – Eine barocke Oper unserer Zeit

Marla Engelschalk, 22 Jahre

Ein blutender Mann wird auf die Bühne gezogen, während eine Frau, vielleicht sogar seine Braut, mit einer Pistole vom Kiesweg vor dem Schloss an die Fensterscheiben hämmert, direkt neben dem Publikum in der gläsernen Pflanzenhalle des Orangerieschlosses. Ist das ein Überfall? Man ist sofort mittendrin im Geschehen. Mit wütendem Blick tobt Bradamante draußen, während der kaltblütige Zauberer Atlante ihren bewusstlosen Bräutigam Ruggiero mit dem Handy fotografiert. Die Barockoper „Orlando generoso“ (Der großmütige Roland) stammt aus dem Jahre 1691 von dem italienischen Komponisten Agostino Steffani, der viel Zeit seines Lebens in Deutschland verbrachte. Für die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2025 haben die künstlerische Leiterin Dorothee Oberlinger und Regisseurin Jean Renshaw die hier wenig bekannte Oper in das Orangerieschloss gebracht. Dieser Ort verdient auch eine Oper, selbst wenn er den Bühnenbilder Alfred Peter vor Herausforderungen gestellt hat. Die denkmalgeschützte Pflanzenhalle hatte weder Bühne noch Technik oder Zuschauerränge. Zusätzlich darf nichts an die Wände angeschraubt werden. Das macht alle technischen Tricks, bis auf Scheinwerfer, faktisch unmöglich. Die seitliche Fensterfront der Pflanzenhalle lässt sich außerdem nicht verdecken und daher muss sich mit dem natürlichen Licht arrangiert werden. Dem Licht wurde so etwas wie eine passive Rolle zugeteilt: Die Oper wird abends aufgeführt, während die Sonne draußen untergeht. Langsam wird die Tiefe des symmetrischen Säulengangs, der sich noch weit hinter die Bühne erstreckt, immer konturenreicher ausgeleuchtet.

Orchester und Dirigentin sind zwar gut für das Publikum zu sehen, doch hinter den Sängerinnen und Sängern platziert. Diese betreten die minimalistische Bühne von Türen auf beiden Seiten, die mit „IN“ und „OUT“ beschriftet sind, erst auf Englisch, später in chinesischen Schriftzeichen – denn die Handlung wird, auch im Libretto, nach China gezaubert. Ein weißer Tisch bildet den Mittelpunkt von allem. Diese Idee davon stammt nicht aus dem Barock, sondern vom späteren Dichter Novalis, wie Renshaw erklärt. „Der Tisch der Sehnsucht, der nie leer wird“ wirkt wie eine Bühne auf der Bühne.

Der Held Orlando (Terry Wey) liebt die schöne Angelica (Hélène Walter), Tochter des Kaisers von China, Galafro (Gabriel Diaz), doch ihr Herz schlägt für Medoro (Natalia Kawalek). Der Zauberer Atlante (Sreten Manojlovic) versucht Ruggiero (Morten Grove Frandsen) und Bradamante (Shira Patchornik) auseinander zu treiben. Um die Handlung zu verdichten, bringt Renshaw einen Tänzer (Martin Dvořák) und eine Tänzerin (Katharina Wiedenhofer) ins Spiel, die mehr tun als nur die Zeit zwischen den Szenen zu dekorieren. Sie könnten ebenfalls ein Liebespaar darstellen, doch Dvořáks Figur wird zunehmend brutaler im Umgang mit seiner Partnerin. Diese verschwindet schließlich, eine subtile Vorhersage für den Ausgang der Oper.

Hélène Walter und Shira Patchornik haben den SanssouciReportern während der Proben berichtet, wie sie bei Entscheidungen für die Umsetzung der Oper mitwirken dürften. Auch fühlen sie sich in den Szenen mit gewaltvollen oder sexuellen Inhalten stets sicher, was nicht bei jeder Inszenierung selbstverständlich sei. Dieses körperliche Vertrauen auf der Bühne ist auch für die Zuschauer spürbar und hilft dabei, für die drei Stunden Spieldauer konzentriert zu bleiben. Die minimalistisch gestaltete Ausstattung lenkt die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, „die Emotionen, die wichtiger sind als die Handlung“, wie Alfred Peter, der Bühnenbildner, betont.

Die Oper war ursprünglich viel länger. Mit der Originalhandlung wurde jedoch nicht nur aus Zeitgründen gebrochen. Wie viel Gewalt auch zwischen den Charakteren ausgeübt wurde, eigentlich kommen in Steffanis Libretto am Ende alle wieder zusammen. Hier geschieht das nicht. Aber wurde wirklich ein Happy End entfernt? Wäre eine bedingungslose Vergebung und Versöhnung wirklich ein gutes Ende gewesen? Oberlinger lässt die Oper mit einer anderen Chaconne von Steffani enden, umgeschrieben in Moll. Die moderne Interpretation von „Orlando generoso“ fordert uns mit ihrer naturalistischen Spielweise auf, uns mit der Gewalt auseinanderzusetzten, mit der wir aktuell konfrontiert werden. Nicht gerade beruhigend, doch trotzdem zutiefst berührend und musikalisch meisterhaft.