Powerhouse-Komponistin

Sophie-Caroline Danner, 25 Jahre

Freudestrahlend hüpft Ying Wang auf die Bühne des ECLAT Festivals für Neue Musik. Die Begeisterung im Publikum ist so spürbar wie die „Liebesfrequenz“, welche zuvor durch den Körper vibrierte. Im Gespräch sagt Ying Wang, dass es genau das sei, was sie mit ihrem Werk 528Hz 8va erreichen wollte: „Nach diesen zwei Jahren Lockdown und Quarantäne sind wir alle so ausgetrocknet und wünschen uns, zu einer Normalität zurückzukommen. Ich möchte dieser Normalität Energie geben. Durch das SWR Symphonieorchester möchte ich den Morsecode L-O-V-E in den Kosmos senden, damit jeder Liebe empfangen kann, um neu zu starten.“ Wenn sie das sagt, funkeln ihre Augen und sie macht den Eindruck, die ganze Welt umarmen zu wollen und auch zu können.

Ying Wang ist 1976 in Shanghai geboren und stark durch ihren Vater Xilin Wang geprägt, der ein wichtiger chinesischer Komponist Chinas ist. Heute sieht man ihn bei ihrem Konzert rechts oben im Zuschauerraum sitzen und ihr mit beiden nach oben gerissenen Daumen zujubeln. Im Anschluss antwortete er auf die Frage, wie es ihm damit gehe, seine Tochter nun in Konzerten feiern zu können, in gebrochenem Englisch: „Very happy, very happy“. Die beiden befinden sich in einer Balance, die schon immer bestanden habe, sagt Ying. Früher hörten sie sich beim Mittagessen gemeinsam Musik an und sprachen darüber. Heute bringt die Tochter neue Partituren zu ihrem Vater und hält ihn so auf dem Laufenden.

Der Weg zur Musikerin wurde ihr früh bestimmt, im Alter von zwei Jahren begann ihr Klavierunterricht, durch Improvisation am Klavier entstanden ihre ersten Kompositionen. Später studierte sie in etlichen europäischen Städten bei großen Namensträgern der Neuen Musik und arbeitet seitdem mit berühmten Orchestern, Institutionen, Musikerinnen und Musikern zusammen. Mit Unterbrechungen lebt Ying Wang seit fast 20 Jahren in Deutschland. Zwischenzeitlich lehrte sie in Shanghai und zeigte den Studierenden Neue Musik. „Das ist dort, wie die Fenster aufzureißen und den Studentinnen und Studenten frische Luft zu geben.“ Die Studierenden liegen ihr immer noch sehr am Herzen, das hört man auch an der Wehmut in ihrer Stimme, als sie von der Entscheidung berichtet, zurück nach Deutschland zu kommen. Sie hat das Gefühl, sich in China nicht weiterentwickeln zu können. „Ich bin wie ein Baum, ich möchte noch wachsen. Ich brauche noch Sonne und Licht. Das geht in China nicht.“

Es sind andere Winde, die ihr in Deutschland entgegenwehen, häufig hat sie mit Vorurteilen umzugehen: „Als ich nach Deutschland kam, dachten alle: ‚Ah du bist chinesische Komponistin, du komponierst bestimmt schöne pentatonische Musik.‘ Das ist nicht so. Ich wurde von Beginn an im europäisch-akademischen Sinne ausgebildet. Ich bin eine Blume vieler Farben.“ Im Gespräch richtet sie sich immer wieder auf und springt von traurigen zu schönen Themen oder rückt die Erzählung in ein positives Licht. Es ist zwar erstaunlich, aber nicht überraschend, dass sie auch der pandemischen Lage Gutes abgewinnt.

Ying Wang ist als gefragte Komponistin mitten im künstlerischen Alltag, als Corona in Deutschland zum Problem wird. Als wir auf den Lockdown und die Situation der vergangenen beiden Jahre zu sprechen kommen, sieht sie zunächst die Vorteile der Situation: „Im letzten Jahr habe ich neun Werke komponiert. Diese Corona-Zeit war für mich eine Tankstelle. Ich habe mich zurückgezogen, wieder fokussiert und sehr viel produziert. Ich kann nun rückblickend sagen, dass jeder Künstler nur durch Übung besser werden kann. Wir haben keine Abkürzung und müssen mit jedem Werk für uns besser werden. Du kannst Talent haben aber musst trotzdem fleißig sein. Dafür war die Zeit gut.“ Auf Nachfrage, was zum Beispiel die Planungsunsicherheit mit ihr mache, huscht ein Schatten über ihr Gesicht: „Der erste Schlag, der mich wirklich frustriert hat, war Anfang 2020. Im Oktober waren in Berlin Uraufführungen geplant. Zwei Wochen vor dem Konzert wurde der Auftritt gecancelt. Das hat sehr wehgetan. Danach wurde es eigentlich besser, auch durch die Lücke 2021. In der hatte ich einige Aufführungen. Auch jetzt arbeite ich viel, aber es passiert immer wieder. Am 17. Januar hätte ich eine Quartett-Uraufführung gehabt, an dem ich zwei Jahre gearbeitet hatte. Vier Stunden vor der Uraufführung hatte einer der Musiker einen positiven Test und das Konzert musste ausfallen. Das war schlimm, aber nicht mehr ganz so enttäuschend.“

Ying ist eine Frau, die aus jeder Situation stärker herauskomm. Die gewonnene Energie steckt sie in ihre Werke. Dabei verarbeitet sie meist anspruchsvolle Fragen und Probleme der Gesellschaft. Für sie sind tote Flüchtlinge in LKW und Mittelmeer, Verfolgung von Künstlerinnen und Künstlern in diktatorischen Regimen oder Umweltverschmutzung keine banalen Themen, die man oberflächlich gut vermarkten kann. Ihre Werke können erschüttern und bringen so den Problemen die angemessene Aufmerksamkeit. In ihrem Oeuvre verbindet sie Ernsthaftigkeit mit Hoffnung, Optimismus und Energie.

Für die Neue Musik-Szene wünscht sich Ying Wang eine Öffnung und mehr Lockerheit: „Ich finde, unser Weg der ernsten Musik soll nicht noch exklusiver, noch weniger Publikum sein. Ich möchte Tür öffnen. Ich möchte jüngere Leute ansprechen, neues Publikum hier reinbringen. Ich möchte allen Leuten meine Werke zeigen und meine Sprache nicht nur für mich haben, sondern universal sein.“