Quälendes Warten

Sophie-Caroline Danner, 24 Jahre

Schwarz. Tiefes Schwarz. Dann Geräusche, die sphärisch anschwellen. Ein wummerndes Rauschen, blitzartig, schnelle, hohe und scharfe Klänge. Dann klappert etwas, Tropfen fallen und Wasser plätschert. Nach 40 Sekunden in Dunkelheit erscheint plötzlich ein Schwarz-Weiß-Bild. Man sieht einen Menschen von hinten vor einer weißen Wand knien. Die Hände sind auf den Rücken gefesselt, der Kopf berührt den Boden. Es handelt sich um den Schauspieler Igor Shugalev, der in dem Video zu Musik von Alexandra Fikonenko zu sehen ist. Das Werk ist eine Zusammenarbeit von den beiden Künstlern und der Fotografin Alexandra Kononchenko. Es zeigt das Warten eines belarussischen Verhafteten, worauf er wartet weiß er vermutlich selbst nicht. An der Wand hängt eine Uhr, es ist 10 vor 11. Der Sekundenzeiger bewegt sich qualvoll langsam, bis er plötzlich anfängt zu rasen. 11:20, 11:38, 12:15, schneller und schneller kreist der Zeiger. Die Geräusche werden intensiver, bedrängen den Hörer, lösen Unwohlsein aus. Man sieht den barfüßigen Mann immer wieder zucken. 12:45. Den Kopf weiterhin auf dem Boden dreht er sich nun auf die Seite. Er legt sich kurz hin, richtet sich auf, dann ist wieder der Kopf auf dem Boden. 13:30. 13:50, die Hände sind frei. Die Uhr läuft wieder normal. Seitlich zusammengekauert liegt die Gestalt auf dem Boden, richtet sich langsam auf. Schwarz. Die sphärischen Geräusche klingen ab.

Der Titel des Werkes „+375 091208 2334 The body you are calling is currently not available“ spielt auf die Situation in Belarus an, wo das Mobilnetz zeitweise lahmgelegt war. Igor Shugalev und Alexandra Kononchenko bringen in dem Werk ihre Schuldgefühle zum Ausdruck. Sie fühlen sich schuldig zu überleben, während andere leiden. Im Text zu dem eindrücklichen Video beschreiben die beiden, wie sie Interviews mit ehemaligen Inhaftierten wahrnehmen: „Interviews of people who went through detentions seemed surreal, and one could barely process the circumstances these people were describing, like: “…we spent roughly four hours on our knees, with foreheads to the ground, and then they took us to the courtroom…”

Schön ist es nicht. Weder Bild noch Ton. Doch will es auch nicht gefällig sein, ganz im Gegenteil. Der Zuschauer hat Teil an dem Warten darauf, das irgendetwas passiert. Doch nichts passiert. Beim Zuschauen, wie die Person auf dem Boden zuckt, frage ich mich zunächst, was das soll. Der Sinn erschließt sich mir erst, als ich den Text unter dem Video lese. Daraufhin muss ich es noch zwei weitere Male mit großer Aufmerksamkeit anschauen. Was bedeutet die Uhr? Wie passt das, was man sieht, zur Musik? Eine Vielschichtigkeit zeigt sich, die ich so beim ersten Betrachten nicht sehen konnte. Ein unangenehmes Kunstwerk mit großer Tiefe.