Tief ins Ohr gesehnkt

Christopher Motz, 19 Jahre

Der erste volle, getragen gespielte Ton erfüllt das Kirchenschiff und jeder fragt sich, was kommt jetzt? Die Eindringlichkeit ihrer Interpretation durch Francois Benda (Klarinette), Markus Hagemann (Violoncello) und Katia Tchemberdji (Klavier) haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Schon gleich das erste Stück, eine Sonate von Alfred Schnittke für Cello und Klavier, war meiner Ansicht nach gut gewählt. Durch den ständigen Wechsel von Cello und Klavier konnte einerseits die gesamte Bandbreite der Klangfarben des Violoncellos (von sehr warmen, vollen Tönen, bis hin zu sehr dunklen, tiefen, kurz gespielten) demonstriert werden, andererseits konnte auch die Pianistin Katia Tchemberdji von zarten nur mit den Fingerspitzen angeschlagenen Tönen bis hin zu mit der gesamten Hand gespielten wohlgesetzte Akzente anbringen. Der Komponist experimentiert hier mit cellistischen Klangfarben, die typisch für Literatur und Musik der späten 50er-Jahre sind. Das „Ausführen“ (zeigen, ausprobieren) der cellistischen Klangfarben ist typisch für Schnittke. Er gibt allen Instrumenten in seinen Werken die Möglichkeit, ihre jeweilige Individualität hinsichtlich ihrer Klangfarbe, dem spielbaren Tonumfang oder die vielfältigen, spieltechnischen Möglichkeiten darzustellen und für den Hörer begreifbar werden zu lassen, etwa durch den Einsatz der „Pizzicato-Technik“ (hartes Zupfen der Celloseiten) oder von „Vibrato“ (der Finger überträgt durch seine Bewegungen Schwingungen auf die Saite des Cellos). Wenn man ganz genau hinhört und alle anderen Gedanken ausblendet, kann bei diesem Konzertbesuch die ursprüngliche Intention von Schnittke erfasst werden. Das Stück spiegelt gleichzeitig die politische und auch gesellschaftliche Unruhe in der noch jungen BRD und der DDR wieder. Durch viele hochkomplexe Melodieläufe wird einerseits die Ausweglosigkeit, aber auch die Chance der Bürger wiedergespiegelt, ihre Situation entscheidend verbessern zu können. Jeder Lauf muss, gleichgültig wie hoch er hinsichtlich der Tonhöhe steigt, irgendwann auch wieder fallen, d. h. die Töne werden wieder tiefer. Vielleicht spiegelt der aufgewühlte Charakter des Stücks die Zustände nach dem Juni-Aufstand 1953 in der DDR und die heftigen Reaktionen vonseiten der BRD wieder. Die energisch (fortissimo) gespielten Einwürfe der Geige verdeutlichen die Wut der Menschen in der DDR über die erlebte Gewalt.

Das folgende Stück „Sechs Haiku für Klavier solo“, von der russischen Pianistin Katia Tchemberdji selbst komponiert, ist von der japanischen Gedichtform inspiriert und geprägt. Jedes Haiku hat einen eigenen Part in diesem Stück. Man hat gespürt, wie gefühlvoll jedes der kleinen Gedichte dem Hörer thematisch und auch musikalisch von Tchemberdji zugänglich gemacht wurde. Das Besondere an dem verwendeten „Fischer-Flügel“ ist der besonders weiche, volle Ton, der durch die gute Akustik im Kirchenschiff noch verstärkt wird.

Im abschließenden Stück des Konzerts, dem „Trio op. 114 für Klarinette, Cello und Klavier“ von Johannes Brahms, bilden alle Instrumentenstimmen zusammen einen großen Klangteppich. Johannes Brahms favorisierte dieses ausdrucksstarke Instrumentaltrio besonders, da er der Ansicht war, nur so musikalische, rhythmische und klangliche Vollkommenheit in der Musik zu erreichen. Erste Entwürfe dieses Trios stammen aus dem Jahr 1850. Brahms stellte an sich und die von ihm komponierte Musik die höchsten Ansprüche. Aus diesem Grund schrieb er 1883 eine neue, überarbeitete Version dieses Stückes, indem er ihm musikalisch unsauber erscheinende Ausdrücke bereinigte. So schuf er ein vollkommenes, klanglich einwandfreies Werk, das bis heute Klassikfans weltweit begeistert. Brahms gilt durch die hohen stilistischen Ansprüche an seine Werke als „musikalischer Idealist“. Diesen Idealismus versuchte er auch an die Hörer seiner Werke weiterzugeben. Ich finde, dass Brahms eine Art von Komponist und Musiker verkörpert, die nur schwer wiederzufinden ist. Er ist Perfektionist, Idealist, gleichzeitig allerdings auch ein Musiker, dem es gelingt, seine Werke leicht an das Publikum zu vermitteln und sich nicht in hochkomplexen Melodiestrukturen, Notensystemen oder Klangwelten zu verlieren. Auch drei Monate nachdem ich dieses Konzert besucht habe, sind mir die Musikstücke und ihre Interpreten noch gut im Ohr geblieben.